Anlässlich der Kontroverse um das abgesagte Kneecap Konzert sowie das Solidaritätskonzert von österreichischen Musiker*innen in Protest dagegen veröffentlichen wir hier einen Artikel aus dem Mai 2025 der Socialist Party Scotland (CWI in Schottland) zu den Repressionen gegen Kneecap. Das CWI und die Sozialistische Offensive weisen alle Versuche zurück, die legitime Kritik am Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung und an der israelischen Regierung mit einer Unterstützung der reaktionären Hamas und Hisbollah oder gar Antisemitismus gleichzusetzen. Die Proteste gegen den genozidalen Krieg in Gaza, die auch von immer mehr Menschen in Israel/Palästina selbst unterstützt werden, sind angesichts des Grauens in Gaza nicht nur verständlich, sondern notwendig. Es ist ein Fehler, dass die Arbeiter*innenbewegung in Österreich diese Proteste nicht unterstützt bzw. anführt.  Mehr zu Israel/Palästina findet man in unseren jüngsten Stellungnahmen zu diesem Thema:

Flugblatt der Sol in Deutschland

Thesen des CWI zur Weltlage (14. CWI-Weltkongress)

Statement von „Bewegung Sozialistischer Kampf“ in Israel/Palästina

Kneecap: Recht auf Protest gegen den Krieg in Gaza verteidigen

23. Mai 2025, von Oisin Duncan, Socialist Party Scotland (CWI) 

Ein Mitglied der Kneecap-Rap-Gruppe, Liam Ó hAnnaidh, besser bekannt als Mo Chara, wurde von der London Metropolitan Polizei wegen Terrorismus angeklagt, nachdem Videos aufgetaucht waren, die ihn mit einer Hisbollah-Flagge bei einem Auftritt in London im letzten November zeigten.

In ihrer Reaktion in den sozialen Medien bezeichnet das aus Belfast stammende Kneecap-Trio die Veranstaltung als „Festival der Ablenkung“ angesichts des drohenden Hungertods von 14.000 Kleinkindern in Gaza. Sie kritisieren auch die höchst undemokratischen Gerichte, die Ó hAnnaidh vor Gericht stellen werden, und die politischen Motive, die hinter diesem Angriff stehen.

Doch hier geht es nicht um das Hissen einer Hisbollah-Flagge durch einen Rapper.  In Kneecaps Heimatland werden viele Flaggen verbotener paramilitärischer Gruppen öffentlich gezeigt und oft mit lokalen Politikern in Verbindung gebracht, ohne dass der Staat Anklage erhebt.

In Wirklichkeit geht es hier darum, Musiker*innen, andere Künstler*innen und die Arbeiter*innenklasse im Allgemeinen einzuschüchtern, damit sie zum genozidalen Krieg des Netanjahu-Regimes gegen die Palästinenser*innen schweigen. Das ist auch Teil der internationalen Kriminalisierung von Protesten für die Rechte von Palästinenser*innen durch kapitalistische Regierungen.

Heuchelei der herrschenden Klasse

Der Versuch des britischen kapitalistischen Staates, Kneecap zu kriminalisieren, folgt auf das Verbot der Gruppe von Festivals und Konzerten in England und Deutschland sowie auf eine Reihe von Verurteilungen durch Politiker der Tory, der Democratic Unionist Party und der Labour Party.

Der Erste Minister der Schottischen Nationalpartei (SNP), John Swinney, forderte heuchlerisch, den Auftritt von Kneecap auf einem Musikfestival, das diesen Sommer in Glasgow stattfinden soll, zu verbieten. Sollte die SNP nicht liberal und fortschrittlich sein? Erst letztes Jahr wurde aufgedeckt, dass SNP-Politiker gemütliche Geheimgespräche mit israelischen Diplomaten führten, während sie öffentlich Tränen über Gaza vergossen.

Die aufgebauschte Gegenreaktion ist eine klare Reaktion auf Kneecaps Entscheidung, sich auf dem Coachella-Festival über den israelischen Staatsterror in Gaza und darüber hinaus zu äußern.

Daraufhin gingen mehrere Videos mit kontroversen Äußerungen der Gruppe, darunter ein offensichtlicher Aufruf zur Gewalt gegen Tory-Abgeordnete, viral.

Einige von Kneecaps Kommentaren sind plumpe Wutausdrücke, die sich sowohl gegen die vorherige Tory-Regierung als auch gegen den andauernden Völkermord an den Palästinenser*innen und die Gewalt des israelischen Staates gegen libanesische Arbeiter*innen und Jugendliche richten.

Während Marxist*innen die tiefe Wut der Arbeiter*innenklasse verstehen und teilen müssen, ist es unsere Aufgabe, diese Emotionen in den Klassenkampf zu lenken. Dazu gehört auch die Verteidigung von demokratischen Rechten, der Redefreiheit und des künstlerischen Ausdrucks.

Die Heuchelei der gleichen Medien und Politiker*innen, die Kneecap verurteilen, kennt keine Grenzen.

Die Doppelmoral ist offensichtlich. Die Assoziation mit Symbolen einer verbotenen Gruppe ist offenbar ein Grund für schwere strafrechtliche Anklagen, während Netanjahu und sein Kabinett täglich ungestraft Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen.

Die Socialist Party Scotland und die Young Socialists Scotland unterstützen die Befreiung der Palästinenser*innen und ein Ende des israelischen Angriffs auf Gaza und der Angriffe auf den Libanon. Wir unterstützen den Aufbau eines Massenkampfes der Arbeiter*innenklasse durch die Palästinenser*innen sowie der Arbeiter*innenklasse und der Armen im gesamten Nahen Osten für eine sozialistische Lösung, einschließlich der Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates.

Wir unterstützen jedoch nicht die Methoden und die Politik von Hamas und Hisbollah, die sich auf reaktionäre, rechtsgerichtete religiöse Ideen stützen. Die Hisbollah wird beispielsweise vom reaktionären iranischen Regime unterstützt, das die Rechte der Frauen gewaltsam unterdrückt und Sozialist*innen, Gewerkschafter*innen und Künstler*innen verhaftet, die sich kritisch über das Regime äußern.

Kontroversen um Kneecap

Dies ist nicht die erste Kontroverse mit Kneecap; ihr Wandbild auf der Falls Road in West Belfast, das einen brennenden Polizeiwagen zeigt, hat ähnliche Verurteilungen von Politiker*innen in ganz Nordirland hervorgerufen. Doch Kneecap arbeiteten vor kurzem auch mit Young Spence zusammen, einem Rapperkollegen aus dem protestantischen Arbeiter*innenmilieu in der Shankill Road.

Die Gruppe gewann auch einen Rechtsstreit gegen die vorherige Tory-Regierung, nachdem die derzeitige Tory-Chefin Kemi Badenoch ihnen aufgrund ihrer „antibritischen“ politischen Ansichten einen Zuschuss, der ihnen gewährt wurde, blockiert hatte. Sie spendeten den gesamten Betrag von 14.250 Pfund für zwei Jugendzentren in Belfast, von denen eines die irische Sprache fördert und ein anderes vorwiegend von jungen Protestant*innen genutzt wird.

Dies war nicht nur ein offener Angriff der Tories auf die Meinungsfreiheit, sondern spiegelt auch den Mangel an öffentlichen Mitteln für Künstler*innen aus der Arbeiter*innenklasse wider, für die man sich einsetzen muss, und den Druck, der auf sie ausgeübt wird, damit sie sich in politischen und sozialen Fragen „an die Linie halten“.

Der gemeinsame Kampf der Arbeiter*innenklasse zur Überwindung der Spaltung ist die Tradition, die die Socialist Party Scotland verteidigt. Das gilt auch für Irland, wo CWI-Mitglieder seit langem für die Einheit von katholischen und protestantischen Arbeiter*innen in einem gemeinsamen Kampf gegen Kapitalismus, starrer Unterdrückung und Sektierertum eintreten. So haben wir in den 1990er Jahren in Nordirland die erfolgreiche Kampagne „Jugend gegen sektiererische Gewalt“ mitorganisiert, zu der auch Auftritte und die Arbeit mit Musiker*innen gehörten.

Hip-Hop als Musik der Unterdrückten

Wie in einer Szene ihres im letzten Jahr veröffentlichten Films erläutert, betrachten Kneecap ihre Musik als eine Adaption schwarzer amerikanischer Rap-Musik, und die Einbindung der irischen Sprache in dieses Genre hat einen populären Sound geschaffen, der nicht nur in Irland, sondern auch international junge Menschen anzieht.

In Übereinstimmung mit der Geschichte des Hip-Hop sind jedoch einige der Meinung, dass ihre Musik auch Drogenkonsum, Gewalt und Sexualität in einer Weise beinhaltet, die ihre Botschaft untergräbt.

Dies und ihr provokanter Humor haben sie in die Schusslinie der rechtsgerichteten Elemente des irischen Republikanismus gebracht.

Es gibt hier eine Parallele zu Kontroversen über schwarze Rap-Gruppen in den frühen 1990er Jahren in den USA, wo Gruppen wie NWA und Public Enemy wegen gewalttätiger Texte zensiert und verteufelt wurden.

Zum Vorteil der herrschenden Klasse übertönte dieser Prozess auch die politischen Ideen gegen das Establishment, die im Rap-Genre präsent waren, insbesondere die Wut von afro-amerikanischen Arbeiter*innen über Armut, Polizeischikanen, Morde und Unterdrückung.

Wieder einmal werden aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und Aktionen verwendet, um eine tiefere politische Botschaft in Kneecaps Werk zu untergraben. Es gibt viele Beispiele für Kneecaps Texte, die unverblümt den irischen Republikanismus in einer Weise fördern, die wir nicht unterstützen, aber es gibt auch Gegenbeispiele, in denen sie zur Einheit der Arbeiter*innenklasse aufrufen, und natürlich in jüngster Zeit für ein Ende des Kriegs gegen die Palästinenser*innen.

Der Kapitalismus ist schon immer hart gegen Kunst vorgegangen, die auf die systemische Ausbeutung hinweist, auf der er beruht, während die Arbeiter*innenbewegung eine Geschichte der Verteidigung des Rechts auf freie Rede und künstlerischen Ausdruck hat.

Hier bietet sich die Gelegenheit, nicht nur einen irischen Rapper vor den britischen Gerichten zu verteidigen, sondern eine breitere Bewegung zu mobilisieren, die sich dem israelischen Staatsterror entgegenstellt und sich letztlich gegen die kapitalistische Weltordnung wendet, die Krieg und Leid verursacht.

Kneecap sollte an die Musikgewerkschaft und die breitere Gewerkschaftsbewegung appellieren, sie gegen die sehr schweren Anklagen zu unterstützen, die mit langen Gefängnisstrafen verbunden sind. Die Anklagen müssen sofort fallen gelassen werden!