von Gerhard Ziegler, SO Linz
Wir zahlen nicht für die Krise! Gemeinsame Streiks können auch die Basis für eine Bewegung gegen Personalabbau, Betriebsschließungen und gegen Angriffe der Regierung legen!
Nach drei (Papier) bzw. vier (Elektro- und Elektronik) Verhandlungsrunden ist die Vertretung der Unternehmen nach Jahren von Inflation und Reallohnverlusten nicht bereit, die Teuerung des letzten Jahres auszugleichen. Dementsprechend werden von den zuständigen Gewerkschaften in der Papierindustrie PRO-GE (für die Arbeiter*innen) und GPA (für die Angestellten) Streiks für den Fall vorbereitet, dass bei der nächsten Verhandlung am 19. Mai kein Einlenken der Kapitalseite erfolgt. In den Betrieben der Elektro- und Elektronikindustrie wurden diese Woche in Betriebsversammlungen Kampfmaßnahmen bis hin zu Streiks beschlossen, nachdem die Kapitalseite bei einer als Basis genommen Inflationsrate von 2,76 % nur zu einer Erhöhung um 1,5 % bereit ist bzw. für „Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ überhaupt eine Nulllohnrunde fordert.
Die Haltung der Vertretung der Unternehmen in den beiden Branchen zwingt die Gewerkschaftsführung also zum Handeln. Dabei will die Führung gar nicht wirklich kämpfen. Sie versucht vielmehr, durch vollmundige Ankündigungen und die Streikdrohungen die gewerkschaftliche Verhandlungsposition zu stärken. Um Streiks möglichst kurz zu halten oder überhaupt zu verhindern, gehen sie allzu oft faule Kompromisse ein, die es den Unternehmen ermöglichen, durch die Hintertür die Vereinbarungen zu unterlaufen wie z.B.
- Höhere Ist-Lohn-Erhöhung als KV-Erhöhung (KV ist der vereinbarte Lohn lt. Lohngruppe, der vom Unternehmen auf jeden Fall bezahlt werden muss. Oft – bei Fachkräftemangel oder für besonders qualifizierte Schlüsselkräfte – gibt es eine Lohneinstufung über dem KV, das ist der Ist-Lohn) schaut auf den ersten Moment für den/die Beschäftigte*n gut aus, da der Ist-Lohn stärker steigt. Auf Sicht sinkt jedoch das Lohnniveau, da der KV als Grundlage für neu Eingestellte ja deutlich weniger steigt. Zusätzlich benachteiligt eine solche Lösung Frauen, bei denen in der Regel die Überzahlung geringer ausfällt. Und sie erhöht das Risiko für die Beschäftigten, gekündigt und durch auf Basis KV neu Eingestellte ersetzt zu werden. Auf die Spitze trieb es der Autozulieferer Unitech in OÖ, der die Belegschaft zur Gänze kündigte und auf Basis KV-Entlohnung neu einstellte. Eine klassische Änderungskündigung mit Hunderten Euro Lohnverlust für die Beschäftigten.
- Ausstiegs- und Öffnungsklauseln für Betriebe, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden. Beim KV-Abschluss in der Metallindustrie 2023 kam es zu einer solchen Öffnungsklausel, von der 2023 über ⅓ und 2024 schon mehr als die Hälfte der Unternehmen in der Branche (u.a. auch Konzernbetriebe der voest-alpine, die Milliardengewinne einstreift) Gebrauch machten und den Beschäftigten Lohnverluste bescheren.
- Eine Deckelung unterläuft die vereinbarte Lohnerhöhung für die höheren Lohngruppen. Grundsätzlich sind auch wir für die stärkere Anhebung der unteren Lohngruppen, aber nicht über einen Deckel (der für die höheren Einkommen Reallohnverlust bedeutet), sondern für einen Fixbetrag, der so angesetzt werden muss, dass für alle Lohnstufen ein Teuerungsausgleich erfolgt.
- Die Freizeitoption ist in Wirklichkeit nichts Anderes als eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich. Warum nicht gleich eine echte Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohn- und Personalausgleich? Eine solche Forderung wurde vor 40 Jahren auf einem ÖGB-Kongress beschlossen, ist seitdem aber schubladiert. Klar, sie müsste gegen den Willen der Unternehmensbosse erkämpft werden, denn diese wollen etwas ganz Anderes – wir sollten länger und flexibler arbeiten.
Solange sich die Gewerkschaftsbürokratie der Ideologie der Sozialpartnerschaft unterwirft, akzeptiert sie grundsätzlich die Logik im Kapitalismus, Profit zu erzielen. Es soll halt auch für die Beschäftigten „ein fairer Anteil“, wie sie es bezeichnet, abfallen.
Doch die wirtschaftliche Krise mit ihren Überkapazitäten verschärft die Konkurrenz national wie international. Um sich Konkurrenzvorteile zu verschaffen, sehen sich die Betriebe gezwungen, Kosten zu senken und Kapazitäten zurückzunehmen. In der Krise zeigt der Kapitalismus sein wahres Gesicht umso deutlicher: die Sicherung der Profite erfordert, die Löhne zu drücken und Arbeitsplätze abzubauen.
Wir Beschäftigten haben jedoch ganz andere Interessen. Zur Sicherung eines zufriedenstellenden Lebens brauchen wir höhere Löhne, sichere Arbeitsplätze sowie ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungssystem und Vorsorge im Alter, d.h. ein ausfinanziertes Pensions- und Pflegesystem. Bei so gegensätzlichen Interessen gibt es keinen “fairen” Deal und keinen “Kompromiss”. Vielmehr hängt jedes Ergebnis vom Kräfteverhältnis der beiden Kontrahenten (die aufgrund der gegensätzlichen Interessen eben keine Partner*innen sind) ab.
Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft
Das erfordert eine ganz andere gewerkschaftliche Strategie. Wir brauchen Streiks und Arbeitskämpfe nicht zur Verbesserung der Verhandlungsposition, sondern echte Streiks und Kampfmaßnahmen zur Durchsetzung der Forderungen auch gegen den Willen der Kapitalseite.
Tatsächlich reicht das Geld in den Familien von uns Arbeitenden aufgrund der hohen Teuerungen der letzten Jahre (v.a. bei den Preise des täglichen Gebrauchs – also Wohnen, Heizen, Strom, aber auch den Lebensmittel) immer weniger, um über die Runden zu kommen. Ist dann auch noch ein Kredit abzuzahlen, noch schlimmer.
Laut Armutsreport des Momentum-Instituts vom Mai 2024 sind (Statistik Austria, 2024a) etwa 1,6 Millionen Menschen in Österreich armuts- oder ausgrenzungsgefährdet – das sind 17,7 Prozent der Bevölkerung, also fast ein Fünftel.
Daher braucht es echte Reallohnerhöhungen, um diese Belastungen auszugleichen, sowie ein Programm gegen die Krise, gegen Arbeitsplatzabbau und Standortschließungen.
Aus unserer Sicht sind daher die folgenden ersten Schritte notwendig:
- Ab sofort Streiks sowohl in den Betrieben der Papier- als auch in der Elektro- und Elektronikindustrie unter maximaler Einbeziehung der Beschäftigten vorbereiten: Der Abschluss muss mindestens die Abgeltung der Teuerung für alle umfassen und die niedrigeren Lohn-/Gehaltsstufen zusätzlich anheben. Für die Annahme eines Verhandlungsergebnisses ist eine qualifizierte Mehrheit der Beschäftigten in einer Urabstimmung nach einer offenen und demokratischen Diskussion notwendig.
- Die Streiks in beiden Branchen gemeinsam und koordiniert durchführen – so kann der Druck erhöht und die Kampfkraft gestärkt werden. Auch Solidarität bzw. Einbeziehung anderer Branchen ist möglich und sinnvoll.
- Die Streiks können und sollen der Auftakt sein für branchenübergreifende gewerkschaftliche Maßnahmen gegen die Kürzungen der Regierung bei den Pensionen (u.a. Verschlechterungen bei der Korridorpension sowie durch die Teilpension, die de facto eine Pensionskürzung ist) und bei der ÖGK (u.a. Selbstbehalte bei den Krankentransporten und Einschränkungen bei den Gesundheitsleistungen) und alle Angriffe und Kürzungen zulasten der Beschäftigten, Pensionist*innen, Arbeitslosen und Jugendlichen – ÖGB aufwachen!
So könnten wir die unmittelbaren Angriffe auf uns Beschäftigte abwehren und wir könnten – gestützt auf diese Erfolge – als gemeinsame Klasse der Arbeitenden den Vormarsch der rechtsextremen FPÖ stoppen und in die Offensive kommen, denn:
Das Problem ist der Kapitalismus
Aufgrund der Wirkungsweise der Konkurrenz kommt es im Kapitalismus also immer wieder zu Krisen aufgrund von Überkapazitäten, Überproduktion im Vergleich zur vorhandenen Kaufkraft und daraus folgend zu Firmenzusammenbrüchen mit Arbeitsplatzverlusten. Solange die Gewerkschaftsführungen nicht aus der kapitalistischen Logik der Profitwirtschaft ausbrechen, sind sie nicht in der Lage, wirksame Gegenwehr zu den Angriffen auf unsere Löhne und Arbeitsplätze zu organisieren. Bei vielen Gelegenheiten, zuletzt anschaulich beim Motorradhersteller KTM in OÖ, haben wir auch gesehen, dass Lohnverzicht keine Arbeitsplätze sichert. So sind Verschlechterungen für uns Beschäftigte vorprogrammiert, was auch Zweifel an der Nützlichkeit von Gewerkschaften nähren und zu Mitgliederverlusten führen wird. Eine solche defensive Gewerkschaftspolitik leistet auch der Demagogie der rechtsradikalen FPÖ Vorschub, die sich so leichter als Verteidigerin der Arbeiter*innen-Interessen (wenngleich auch nur der “inländischen”) aufspielen kann.
Um aus diesem Teufelskreis ausbrechen zu können, brauchen wir daher Gewerkschaftsführungen, die mit dieser kapitalistischen Sparlogik brechen und die Interessen ihrer Mitglieder tatsächlich wirksam verteidigen. Das sind Gewerkschaftsführungen, die u.a.
- bei Lohnkämpfen für echte Reallohnerhöhungen kämpfen, indem sie die Beschäftigten in den Betrieben maximal in die Kämpfe einbinden und sich deren Entscheidung über die Fortführung des Kampfes in Urabstimmungen unterwerfen
- keine “betriebsbedingten Kündigungen” akzeptieren, sondern um jeden Arbeitsplatz kämpfen, indem sie
- die Beschäftigten im betroffenen Betrieb – aber auch in der gesamten Branche bzw. im ganzen Land – zum Arbeitskampf mobilisieren
- eine Offenlegung der Geschäftsbücher verlangen, um zu kontrollieren, wohin die Gewinne geflossen sind
- statt einer Insolvenz für die Übernahme des Betriebes durch den Staat und Kontrolle durch die Beschäftigten und ihre Organisationen kämpfen
- für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich (dieser kontrolliert von Betriebsrat bzw. Gewerkschaft)
- generell für die Verstaatlichung der Banken und Schlüsselbetriebe unter der Kontrolle der Beschäftigten und ihrer Organisationen eintritt und kämpft
- für die Bereitstellung der notwendigen Mittel des Staates bei Bildung, Gesundheit, Pflege, Pensionen etc. finanziert aus den Gewinnen der Konzerne und Vermögen der Superreichen eintreten
- gegen jede Spaltung der Klasse der Arbeitenden eintritt, da Unternehmen sonst eine Gruppe gegen die andere ausspielen könnte um Streiks und Kämpfe zu schwächen
- die Schaffung einer neuen Partei der Arbeiter*innen und Jugendlichen unterstützt, um der arbeitenden Klasse auch auf politischer Ebene eine Alternative und einen Bezugspunkt anbieten zu können – das bedeutet. wenn nötig auch mit der SPÖ, die in der Regierung Kürzungen umsetzt, zu brechen.
Solche neue Gewerkschaftsführungen werden nicht vom Himmel fallen. Wir werden sie erkämpfen müssen durch den Aufbau eines Netzwerkes von kämpferischen Kolleg*innen innerhalb der Gewerkschaften. Wir laden dich ein, Teil davon zu werden – nimm mit uns Kontakt auf.
