Kündigungen, Umstellung auf prekäre Arbeitsverhältnisse und Zerschlagung des Kollektivvertrags drohen! Gewerkschaft muss Kampf organisieren!
Der Zustelldienst Lieferando hat angekündigt seine Fahrer*innen zu kündigen, das Unternehmen aufzulösen und “die Logistik umzustellen”. Dahinter steckt der Versuch, den erst 2020 erkämpften Kollektivvertrag zu zerschlagen und mit prekären Arbeitsverhältnissen zu umgehen.
Wie kann das verhindert werden? Die Vida-Führung (zuständige Gewerkschaft) kritisiert zu Recht in einer Aussendung die Regierung. Die gesetzliche Lage lässt prekäre Arbeitsverhältnisse seit den 90er Jahren zu (viele Regierungen haben diese auch selbst eingesetzt, um Personal abzubauen/auszulagern (Bsp. Museumsaufsicht)). Es braucht aber Aktionen – keine Appelle. Wir können nicht warten, bis sich die Regierung zu einer Rücknahme dieser arbeiter*innenfeindlichen Gesetze erbarmt – denn sie wird es nicht tun, außer sie ist durch einen gesamtgesellschaftlichen Kampf gezwungen. Auch Appelle an die Sozialpartnerschaft werden das Unternehmen nicht umstimmen – denn die Sozialpartnerschaft dient dazu die Beschäftigten stillzuhalten. In der Krise fallen ohne Kampf nicht mal Brosamen für uns ab. Es muss also ein konsequenter Kampf geführt werden, um das Unternehmen zum Einlenken zu zwingen.
Es ist kein Naturgesetz, dass Kündigungen akzeptiert werden müssen – Widerstand ist möglich und notwendig. Auch international gibt es Kämpfe in diesem Sektor – 2024 haben z.B. Deliveroo und Uber Fahrer*innen in Britannien gestreikt. Es gibt in der Branche Vernetzung untereinander und mit dem Riders Collective Strukturen von unten. Wenn die Lieferando-Fahrer*innen in den Streik treten, können Solidaritäts*aktionen und Demonstrationen der Fahrer*innen bei anderen Betrieben organisiert werden – denn Lieferando war mit den angestellten Fahrer*innen ein Vorreiter im Kampf für die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse. In Flugblättern an die Kund*innen kann über den Kampf informiert und für Solidarität geworben werden. Über Verhandlungsergebnisse müssen die Fahrer*innen selbst demokratisch entscheiden können – ob ein Streik fortgeführt wird oder ein Verhandlungsergebnis akzeptiert wird. Über eine Solidaritätskampagne durch die Gewerkschaft, die die Kündigungen nicht akzeptiert, sondern einen konsequenten Kampf unterstützt, kann die Vernetzung mit anderen Branchen, die sich gerade im Kampf um die Lohnrunden befinden, hergestellt werden – die Erwachsenenbildung, Papier, Chemie und Elektro. Aber an Streiks, Protesten und Aktionen führt kein Weg vorbei, wenn das Unternehmen in die Knie gezwungen werden soll.
Die Fahrer*innen haben bereits Kampferfahrung – denn der Kollektivvertrag wurde u.a. durch Streiks und Demonstrationen erkämpft. Darauf kann aufgebaut werden. Ein ähnlicher Kampf von freien Dienstnehmer*innen wurde in den 00er Jahren bei Veloce geführt. Sie traten damals in einen “wilden Streik”, also einen Streik von unten ohne Organisierung durch die Gewerkschaft. Bei diesen Streiks 2004 wurden Streik-Vertreter*innen gewählt und Kampfmaßnahmen unter den Fahrradbot*innen zentral abgestimmt. Die Information der Kund*innen über die Hintergründe des Streiks übernahmen die Bot*innen selbst. Um die Wahl eines Betriebsrats zu verhindern, kündigte das Unternehmen damals ebenfalls alle Fahrer*innen, obwohl diese bereits als freie Dienstnehmer*innen streng genommen gar keine Angestellten waren. Die Unternehmen sind mit allen Wassern gewaschen – man darf ihnen das nicht durchgehen lassen. Um das zu erreichen müssen wir Druck aufbauen, um sicherzustellen dass die Gewerkschaften ihrem Kampfauftrag auch nachkommen!
Anhang: Interview mit einer streikenden Veloce-Fahrerin aus dem Jahr 2004 (erschienen bei unserer Vorläuferorganisation):
“Dass bei Veloce gestreikt wurde, hat damit zu tun, dass es sehr viele Streiks gegeben hat.”
Im April und Mai gab es beim Botendienst Veloce den ersten Streik von Freien Dienstnehmer*innen. Sie traten dreimal – zuletzt unbefristet – in den Streik. Über ihre Erfahrungen sprach Sonja Grusch mit Tonga, einer der SprecherInnen.
VORWÄRTS: Ihr seid Freie Dienstnehmer*innen (FD) – bringt das Vorteile?
Tonga: Es gibt die Illusion von Freiheit – je länger man dabei ist, umso mehr kommt man aber drauf, dass es ein Job wie jeder andere ist, bis auf die Bewegung. Wir sind völlig abhängig von der Firma. Klar können wir Aufträge ablehnen, nur leisten kann sich das niemand. Die Firmenleitung versucht das auch zu spielen, so “Betriebsräte, so was brauchen wir doch nicht, das ist doch veraltet”. Sie sieht das nicht gerne, dass sich die Fahrer jetzt organisieren.
VORWÄRTS: Der Streik ist vorläufig vorbei, ihr seid wieder eingestellt und es wird verhandelt – ein Erfolg?
Tonga: Es gibt zwar regelmäßig Gespräche, aber da bewegt sich nicht viel. Von den Forderungen ist bisher keine erfüllt worden. Es kann sein, dass es nur eine Hinhaltetaktik ist, weil jetzt haben wir eine der umsatzstärksten Zeiten ,in den Sommerferien ist immer viel weniger los. Wir haben bald die Betriebsratswahl, aber das akzeptiert der Geschäftsführer auch nicht und entfernt die Aushänge immer wieder. Der Erfolg ist aber, dass die Fahrer mehr Selbstbewusstsein bekommen haben. Wir kennen uns jetzt untereinander besser, es gibt regelmäßig Fahrerversammlungen. Am Anfang haben viele gedacht, wir werden einfach ersetzt, aber das war nicht möglich. Wir haben bemerkt, dass wir was bewegen können. Die Reaktionen von anderen waren total super. Alle die uns darauf angesprochen haben waren sehr interessiert und haben gemeint, lasst euch nichts gefallen, macht’s weiter.
VORWÄRTS: Welche Bedeutung haben die Streiks 2003 für Euch?
Tonga: Da waren einige Leute von uns mit Pickerln “Solidarität mit den Streikenden” unterwegs. Aber das war damals nicht so meine Sache. Die Stimmung ist heute anders als früher, es hat ja immer wieder die Idee gegeben sich zu organisieren. Aber damals ist das Wort Streik nie in den Mund genommen worden. Das wir jetzt gestreikt haben hat sicher auch damit zu tun, dass es sehr viele Streiks gegeben hat. Es wird sich nie was zum positiven ändern bei diesen Beschäftigungsverhältnissen, wenn sich die Leute nicht organisieren.
Fakten & Hintergründe
Freie Dienstnehmer*innen: ASVG-Unfall, – Kranken und Pensionsversicherung, aber mit Einschränkungen, z.B. Kein Krankengeld, keine Arbeitslosenversicherung, kein Urlaubsanspruch und weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld. Es gilt kein Kollektivvertrag. Es gibt keine AK-Mitgliedschaft und bisher kein Recht auf die Wahl eines Betriebsrates.
Forderungen der Fahrradbot*innen bei Veloce 2004:
- Wir wollen unseren vollen Anteil am Umsatz, auch an der 50 Cent Preiserhöhung. Das gilt auch für den Anteil der freiberuflichen Unternehmer die bei uns arbeiten.
- Wir wollen, dass die AnfängerInnen gleich viel bezahlt bekommen wie wir, ihr niedrigerer Lohn bedeutet, dass immer überzählige Leute eingestellt werden und wir wochenlang nur die Hälfte verdienen.
- Wir wollen unseren Lohn am Monatsanfang ausbezahlt bekommen, nicht erst nach dem Monats-achzehnten, wie es jetzt passiert ist.
- Wir wollen nicht mehr die 10 Euro Bearbeitungsgebühr für unsere Lohnabrechnung bezahlen.
- Wir wollen unsere Mobiltelefon-Kosten für Gespräche mit der Firma ersetzt bekommen.
- Wir akzeptieren keine X-Tickets mehr. (Das sind Fahrten die wir nicht bezahlt bekommen, falls Unklarheiten auf der Rechnung auftauchen etc.)
- Wir wollen eine Offenlegung der Verträge mit den Versicherungen und Krankenkassen, wir wollen wissen für welche Leistungen uns wie viel Geld abgezogen wird.
- Wir wollen Reparaturmöglichkeiten für unsere Fahrräder in der Zentrale, und dass auf die Angebote von Firma Ciclopia eingegangen wird, die unsere Firma günstigere Reparaturbedingungen angeboten haben.
