Adaramoye Michael Lenin und Mosiu Sodiq wurden nach fast zwei Monaten in der Gefangenschaft der Regierung Bola Tinubu am 5. Oktober aus der Haft entlassen. Ebenfalls freigelassen wurde Eleojo Opaluwa, ein regionaler Funktionär der National Union of Electricity Employees (NUEE). Dies ist allerdings nicht das Ende der Solidaritätskampagne und des Kampfes in Nigeria.
Wir veröffentlichen hier eine Stellungnahme der Demokratischen Sozialistischen Bewegung (DSM, Schwesterorganisation der Sozialistischen Offensive in Nigeria und Sektion des CWI) vom 04. Oktober, ein Interview mit Abbey Trotsky, einem führenden Aktivisten der DSM, über die Hintergründe sowie einen Artikel über die politische Situation in Nigeria.
Lasst die erfundenen Anklagen fallen und lasst alle Gefangenen jetzt bedingungslos frei!
Stellungnahme der DSM vom 4. Oktober
Wir von der Demokratischen Sozialistischen Bewegung (DSM) verkünden offiziell die Freilassung von Adaramoye Michael Lenin und Mosiu Sodiq nach fast zwei Monaten in der Gefangenschaft der Regierung Bola Tinubu. Ebenfalls freigelassen wurde heute Eleojo Opaluwa, ein regionaler Funktionär der National Union of Electricity Employees (NUEE).
Michael Lenin und Sodiq wurden am 5. August in den frühen Morgenstunden von Mitarbeitern der National Intelligence Agency in Abuja entführt. Ihre Entführung und anschließende Verhaftung waren Teil der brutalen Niederschlagung der #EndBadGovernance-Proteste im ganzen Land, insbesondere in Abuja und im Norden des Landes.
Michael Lenin, nationaler Koordinator der Youth Rights Campaign (ERC) und Mitglied der Democratic Socialist Movement (DSM), war einer der Organisatoren der #EndBadGovernance-Proteste. Seit ihrer Verhaftung stehen Michael und 10 weitere Personen unter dem Vorwurf des Hochverrats vor Gericht, worauf die Todesstrafe steht.
Nach einer lautstarken lokalen und internationalen Kampagne für ihre Freilassung wurden sie am 11. September auf Kaution freigelassen. Die strengen Auflagen der Kaution bedeuteten jedoch, dass sie drei weitere Wochen in Haft verbringen mussten. Nur drei der ursprünglich 10 wegen Hochverrats angeklagten Personen waren zuvor freigelassen worden. Abayomi Adeyemi, Angel Loveth und Nuradeen Khamis.
Noch in Haft sind Daniel Akande, Bashir Bello, Suleiman Yakubu und Abdulsalam Zubairu. Daniel, der am 2. September verhaftet wurde, wurde am 27. September vor Gericht gestellt. 103 Personen befinden sich jedoch noch immer ohne Anklage und Gerichtsverfahren in den Polizeigefängnissen IRT und Kuje in Abuja in Haft. Auch Khaleed Aminu und sechs weitere Personen befinden sich nach wie vor in Kaduna in DSS-Haft, während in Kano und anderswo mehrere Aktivist*innen, Journalist*innen und Whistleblower noch immer festgehalten werden, manchmal ohne Zugang zu ihren Familien und Anwälten. Es ist also noch keine Situation, mit der man sich zufrieden geben kann.
Wir fordern die sofortige Freilassung aller, die in Abuja und im ganzen Land im Zusammenhang mit dem Protest #EndBadGovernanceInNigeria inhaftiert sind. Obwohl Michael Lenin und andere aus dem Gefängnis entlassen wurden, sind sie noch nicht völlig frei, da sie immer noch wegen Hochverrats angeklagt sind. Wir fordern hiermit, dass alle erfundenen Anklagen gegen sie fallen gelassen werden. Wir fordern auch die Freigabe der Bankkonten von Aktivist*innen und Organisationen, die im Zusammenhang mit dem #EndBadGovernance-Protest gesperrt wurden.
Wir danken Femi Falana SAN1, Olumide-Fusika SAN, Femi Aborisade, Abubakar Marshal, Deji Adeyanju, Frau Olufuke von Hope Behind Bars Africa und allen Anwält*innen, die uns unentgeltlich juristisch unterstützt haben. Wir danken der Nigeria Bar Association (NBA) und verschiedenen Gruppen von Anwält*innen des öffentlichen Interesses für ihr Engagement.
Wir bedanken uns bei Sozialist*innen, zivilen Organisationen, Gewerkschaften und Aktivist*innen auf lokaler und internationaler Ebene für ihre verschiedenen Solidaritätsaktionen.
Wir rufen die arbeitenden Menschen und die Jugend auf, den Kampf gegen die armenfeindliche kapitalistische Politik und die Angriffe auf die Demokratie durch die Regierung Tinubu fortzusetzen.
1Senior Advocate of Nigeria (SAN), besondere Auszeichnung für Jurist*innen in Nigeria
Nigeria: Interview mit einem Sozialisten
Ein Gespräch mit Abbey Trotsky über willkürliche Verhaftungen von Aktivist*innen und die Notwendigkeit internationaler Solidarität
Abbey Trotsky ist Sprecher der Democratic Socialist Movement (CWI in Nigeria). Das Interview wurde von unserer Schwesterorganisation Sol (CWI in Deutschland) im September geführt, vor der Freilassung von Adaramoye Michael.
Was ist mit Adaramoye Michael geschehen?
Adaramoye Michael ist ein Genosse der DSM und wurde in den frühen Morgenstunden des 5. August verhaftet und von der National Intelligence Agency (NIA), der nigerianischen Geheimpolizei, in seiner Wohnung willkürlich verhaftet. Insgesamt sind über eintausend Aktivistinnen und Aktivisten verhaftet worden. Darunter auch Mosiu Sodiq, Daniel Akande, Eleojo Opaluwa, Abayomi Abiodun, Khalid Aminu, Angel Innocent, die ohne Anklage festgehalten werden.
Was ist der Grund für die Inhaftierungen?
Die Inhaftierung der jungen Aktivisten steht in Verbindung mit den End-bad-government-Protesten hier bei uns in Nigeria. Diese richten sich gegen die Armut und Not, die durch die Entscheidung der Regierung, die Gaspreise um 400 Prozent zu erhöhen, noch einmal verschlimmert wurde. Das war 2023. Zwischen dem 10. August und jetzt sind die Gaspreise noch einmal um 500 Prozent gestiegen.
Die Lage ist so schlimm, dass wegen des eingeschränkten Personenverkehrs in einigen Bundesstaaten Nigerias die Grundschulen geschlossen bleiben müssen.
Adaramoye Michael ist auch Mitglied der Education Rights Campaign. Was muss man sich unter der ERC vorstellen?
Diese Struktur wurde von der DSM ins Leben gerufen und hat bereits erfolgreiche Proteste gegen gestiegene Schul- und Studiengebühren organisiert.
Die ERC fragt aber auch nach den Ursachen der ständigen Attacken auf das Bildungssystem. Für uns sind die Ursachen die kapitalistische Krise und die Weigerung der nigerianischen Regierung, öffentliche Institutionen zu fördern.
Deshalb darf sich unser Kampf nicht allein gegen die Angriffe auf das Bildungssystem richten, sondern auch gegen den Kapitalismus als System. Nur der Sozialismus kann für alle Schüler*innen gleichberechtigte Bildung garantieren. Deshalb will die ERC nigerianische Schüler*innen ermutigen, für ihre Rechte und die Abschaffung des Kapitalismus zu kämpfen.
Ist dieser Umgang mit Protesten typisch für Nigeria?
Die Regierung geht immer wieder mit harter Repression gegen Proteste vor. Da die Polizei häufig direkt auf Demonstrant*innen schießt, wurden in den letzten zwei Jahren hundert Menschen getötet.
So kann es nicht weitergehen. Es handelt sich um die Methoden einer blutigen Diktatur. Sie ist auf so vielen Ebenen inhuman und genau deshalb gehen so viele Menschen gerade aktiv gegen dieses Regime vor. Und daher reagiert das Regime auch auf diese harte Art und Weise.
Wie sind die Verhafteten von der NIA behandelt worden?
Ihnen wurden die Augen verbunden. Sie hatten lange keinen Zugang zu ihren Familien oder anwaltlicher Vertretung. Wir hatten lange Zeit keine Möglichkeit, herauszufinden, wo sie sind. All das verstößt gegen nigerianisches Gesetz.
Was kann man tun, um Euren Kampf zu unterstützen?
Es gab schon viel öffentlichen Druck. Es kamen aus aller Welt Protestschreiben und Erklärungen, die die Inhaftierungen verurteilt haben.
Gegen Adaramoye Michael und andere wurden schwerwiegende Anklagen wegen Terrorismus und Hochverrat erhoben. Ihnen drohen jahrelange Haftstrafen und sogar die Todesstrafe wäre möglich. Die Anklagen sind erfunden und wir müssen erreichen, dass sie fallen gelassen werden.
Deshalb brauchen wir auch weiterhin internationale Unterstützung und Spenden. Auch deshalb, weil man sich auf das nigerianische Gefängniswesen nicht verlassen kann. Besuche kosten Geld und die Versorgung der Inhaftierten ist nicht gesichert. Wir müssen ihnen sogar Essen ins Gefängnis bringen.
Die Kundgebungen in Berlin vor der nigerianischen Botschaft und Frankfurt am Main vor dem dortigen Konsulat und die vielen Protestbriefe haben geholfen, den Fall bekannt zu machen und die Behörden hier unter Druck zu setzen. Solche Aktionen helfen uns.
Nigeria: Protest und Repression
Zur aktuellen Lage im Land und den Hintergründen der internationalen Solidaritätskampagne
Vorbemerkung: Dieser Artikel erschien in englischer Sprache am 28. September auf socialistworld.net – Seitdem wurden drei Angeklagte, darunter Michael Lenin, freigelassen.
Leid und Angst gehen in Nigeria um, da die Regierung unter der Führung von Bola Tinubu zahlreiche Angriffe auf die Masse der arbeitenden Menschen, die Jugend und die Armen verübt hat. Der Lebensstandard wurde nicht nur durch die kontinuierliche Umsetzung der neoliberalen, armutsfeindlichen Politik gesenkt, sondern auch durch brutale Angriffe und ein hartes Durchgreifen gegen jeden, der sich gegen die armenfeindliche Politik der Regierung zu wehren scheint.
von Odunayo Eniayekan, Socialist Party (CWI England & Wales)
Neben wahllosen Verhaftungen, Schikanen und der strafrechtlichen Verfolgung von Demonstrant*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen und Gewerkschaftsführer*innen, einschließlich des Präsidenten des Nigeria Labour Congress (NLC), sind auch leblose Gegenstände wie Bücher Gegenstand von Angriffen gewesen. So wurde beispielsweise die Buchhandlung Iva Valley, die sich im NLC-Sekretariat befindet, von staatlichen Sicherheitskräften überfallen und Bücher weggeschafft. Diese jüngsten Angriffe des von Tinubu geführten Regimes wurden von mehreren Bürger*innen als ein Wettlauf zur zivilen Diktatur bezeichnet, der an die dunklen Tage des militärischen Stiefel-Absolutismus in Nigeria erinnert.
Hunger der Massen
Angesichts der allgegenwärtigen Lebenshaltungskostenkrise, die durch die katastrophale Politik des Regimes in den 15 Monaten seit Tinubus Amtsantritt ausgelöst wurde, hat die Wut der Massen zugenommen, die mit Protesten und Streiks bessere Lebensbedingungen und ein Ende des Hungers fordern. Nigeria, das bereits unter Aufständen in verschiedenen Teilen des Landes und der tief verwurzelten Korruption der politischen Führungseliten litt, wurde in eine noch tiefere Krise gestürzt, als der neu gewählte Präsident im vergangenen Jahr ein beispielloses neoliberales Programm einleitete, das sowohl den Lebensstandard als auch die Wirtschaft insgesamt untergrub. Der Global Report on Food Crises 2024 zeigt, dass die Nigerianer*innen nun an zweiter Stelle der hungrigsten Menschen auf der Welt stehen: 24,9 Millionen Menschen, über 10 Prozent der Bevölkerung, sind von großer Ernährungsunsicherheit betroffen.
Inspiriert von den heldenhaften Protesten und den Zugeständnissen, die die von Jugendlichen angeführten Proteste in Kenia zwischen Juni und Juli dieses Jahres errungen haben, führten nigerianische Jugendliche in der ersten Augustwoche einen zehntägigen Protest unter dem Motto #Endbadgovernance durch, um sich gegen die neoliberale Politik und die massive Korruption der herrschenden Eliten zu wehren. Während der Präsident und seine Apologet*innen weiterhin versuchen, die Erzählung zu verkaufen, dass seine Maßnahmen notwendige Reformen für das Land seien, wurde nicht weniger als 1 Prozent des Bundeshaushalts 2024 (152 Mio. USD) offiziell allein für den Komfort des Präsidenten und seiner Familie ausgegeben. Dazu gehören die jüngste Anschaffung eines neuen Präsidentenjets, der rund 91 Millionen Dollar gekostet hat, der Kauf von Dienstfahrzeugen für die Präsidentengattin, die rund 915.000 Dollar kosten, und eine Vielzahl anderer Ausgaben, die dem protzigen Lebensstil der politischen Eliten entsprechen. Währenddessen kann sich die große Mehrheit der Nigerianer*innen zahlreichen Medienberichten zufolge kaum eine anständige Mahlzeit am Tag leisten.
Eiserne Repression
Die Reaktion des Staates auf die Bewegung, die vom 1. bis 10. August im ganzen Land stattfand, war die einer eisernen Faust, die massiv gegen Demonstrant*innen vorging und versuchte, Proteste zu kriminalisieren und den öffentlichen Raum einzuschränken. In den frühen Morgenstunden des 5. August wurde Adaramoye Michael (Lenin), Nationaler Koordinator der Youth Rights Campaign und führendes Mitglied der Democratic Socialist Movement (CWI Nigeria), zusammen mit Mosiu Sodiq und anderen von Beamten der National Intelligence Agency entführt. Ihnen wurden die Augen verbunden, sie wurden festgehalten, verhört und an einem geheimen Ort ohne Rechtsbeistand oder Familienbesuch festgehalten. 17 Tage später wurde er zusammen mit 123 weiteren Personen nach einer geheimen Gerichtsverhandlung, bei der weder Angeklagte noch Verteidiger anwesend waren, für weitere 60 Tage inhaftiert.
Es überrascht nicht, dass das Gericht den Wünschen der Regierung nachkam und sich nicht um das Wohlergehen der Inhaftierten kümmerte. Diese geheime Gerichtsentscheidung wurde erst bekannt, als die staatliche Nachrichtenagentur NAN am 24. August darüber berichtete. Darin wurden auch die Anklagepunkte genannt, unter denen Michael und seine Mitangeklagten festgehalten wurden, nämlich “kriminelle Verschwörung, Terrorismusfinanzierung, Hochverrat, Cyberstalking und Cybermobbing”. Insgesamt wurden im Zusammenhang mit den #Endbadgovernance-Protesten nicht weniger als 30 Menschen getötet und über 2.000 verhaftet.
Das Regime hat seine Angriffe auf Andersdenkende weiter verschärft. Gewerkschaftsführer*innen, Sozialist*innen, Journalist*innen und Aktivist*innen waren die Hauptziele. Der Präsident des Nigeria Labour Congress, Joe Ajaero, hat nicht nur zwei polizeiliche Einladungsschreiben erhalten, sondern wurde auch vom Department of State Services (DSS, der umbenannten Geheimpolizei) auf einem internationalen Flughafen verhaftet und sein Reisepass beschlagnahmt, so dass er nicht zum TUC-Gewerkschaftskongress in Großbritannien reisen konnte. Die Androhung eines Generalstreiks durch die Gewerkschaften scheint seine Freilassung am selben Tag erzwungen zu haben.
Zuvor war bereits Eleojo Opaluwa, Mitglied der National Union of Electricity Employees und stellvertretender Vorsitzender des NLC des Bundesstaates Kogi, verhaftet worden. Daniel Akande, ein Mitglied des Movement for a Socialist Alternative, wurde ebenfalls am 1. September verhaftet. Er wurde mit Verspätung am 26. September angeklagt und ist damit neben Michael der elfte Mitangeklagte. Am 15. September wurde Omoyele Sowore, der Anführer der “Take It Back”-Bewegung, vom DSS verhaftet und bei seiner Rückkehr nach Nigeria kurzzeitig festgehalten.
Ablenkung der Herrschenden
Der Versuch der Regierung, den wirklichen Forderungen der Demonstrant*innen auszuweichen und stattdessen nach Sündenböcken zu suchen, einschließlich der Schuldzuweisung an “ausländische Sponsoren” oder Nigerianer*innen in der Diaspora, ist beleidigend, da sie darauf abzielt, die Tatsache abzutun, dass die unerträglichen Bedingungen, unter denen die nigerianischen arbeitenden Massen leiden, ausreichen, um einen Widerstand zu erregen. Ein uraltes nigerianisches Sprichwort besagt, dass ein hungriger Mensch ein wütender Mensch ist.
Es ist klar, dass das Regime versucht, Angst unter den arbeitenden Massen und den Armen zu schüren, um künftige Proteste zu verhindern, indem es die wichtigsten Anführer*innen verfolgt. Zu den erfundenen Anklagen gegen Michael und die anderen Demonstrant*innen gehört Hochverrat, worauf nach dem nigerianischen Strafgesetzbuch die Todesstrafe stehen kann. In der Tat lautete eine der Anklageschriften, dass sie angeklagt wurden, weil sie Plakate mit der Aufschrift “End Bad Government” (Ende der schlechten Regierung) in der Absicht trugen, die Regierung zu stürzen.
„Russische Flaggen“
Ein auffälliges Merkmal der Proteste, insbesondere im Norden, war das Schwenken russischer Flaggen bei einigen Demonstrant*innen, die damit ihre Frustration über das Regime und das System zum Ausdruck zu bringen wollten. Das Regime reagierte mit Verhaftungen, und Berichten zufolge gab es deutliche Hinweise darauf, dass der Staat erwog, dies in die Anklageschrift aufzunehmen, um den Vorwurf des Hochverrats gegen Michael und andere zu untermauern. Offensichtlich mussten sie diese Anklage fallen lassen, da sie ebenso lächerlich war wie alle anderen Anschuldigungen gegen Michael und die anderen. Einige prominente Jurist*innen haben in den Medien argumentiert, dass es in diesem Land kein Gesetz gibt, das das Schwenken oder Hissen einer ausländischen Flagge unter Strafe stellt. Es ist jedoch wichtig, auf dieses Ereignis zu reagieren, da es Anzeichen dafür gab, dass der Staat die Anklage gegen Michael damit begründen wollte, dass er auf den Beinamen “Lenin” hört.
Es scheint, dass die Regierung befürchtet, dass dieses Ereignis als direkter Aufruf zu einer militärischen Intervention, möglicherweise in Form eines Staatsstreichs, verstanden werden könnte. Diese Befürchtung wird durch die Tatsache verstärkt, dass sich die Militärjuntas in der Sahelzone – insbesondere in Burkina Faso, Mali und Niger – in letzter Zeit mit Putin und Russland verbündet haben und diese als neue imperialistische Autorität betrachten. Darüber hinaus ist bekannt, dass der im Juli 2023 in Niger durchgeführte Staatsstreich von einem Teil der Bevölkerung feierlich begrüßt wurde, wobei einige russische Flaggen schwenkten. Das CWI hat dies als Ausdruck einer verstärkten, gegen den französischen Imperialismus gerichteten Stimmung sowie einer Anti-Establishment-Stimmung in Ermangelung einer echten politischen Alternative der Arbeiter*innenklasse analysiert. Es ist klar, dass die Tatsache, dass einige nördliche Bundesstaaten Nigerias an einige der Sahel-Länder, einschließlich Niger, grenzen, für die Verbreitung dieses Bewusstseins verantwortlich sein könnte.
Der nördliche Teil Nigerias ist in der Tat von mehrdimensionalen Krisen wie Armut, Unsicherheit, Bildungsmangel usw. geplagt. Aus einem aktuellen Bericht von Action Aid Nigeria geht hervor, dass 65 Prozent der armen Menschen in Nigeria (86 Millionen Menschen) im Norden leben. Einem Bericht von Channels TV vom 18. Dezember 2023 zufolge kommen rund 50 Prozent der Kinder, die nicht zur Schule gehen (nicht weniger als fünf Millionen Kinder), aus dem Norden. Ein klarer Beweis für die Widersprüche und die Ungleichheit, die der Kapitalismus hervorgebracht hat, ist, dass der reichste Schwarze Mann der Welt laut Forbes-Ranking Aliko Dangote ist, der aus dem Norden Nigerias stammt.
Rolle des Militärs
Angesichts der verzweifelten Lage in dieser Region und des Fehlens einer organisierten politischen Plattform der Arbeiter*innenklasse, die die Wut bündeln und in Richtung einer Herausforderung des Systems für einen echten sozialistischen Wandel kanalisieren könnte, ist es nicht überraschend, dass es verschiedene Formen der Verwirrung geben könnte, einschließlich der Illusion, das Militär könne eingreifen und für Stabilität sorgen.
Obwohl die Möglichkeit eines Militärputsches in Nigeria derzeit politisch unwahrscheinlich erscheint, kann sie nicht völlig ausgeschlossen werden, wenn die organisierte Arbeiter*innenklasse sich nicht darauf vorbereitet, eine politische Alternative für die Massen der Werktätigen zu bilden, die die breiten Massen mit einem sozialistischen Programm mobilisieren kann, um das System herauszufordern und der großen Mehrheit Hoffnung zu geben. Selbst im Militär scheint die Unzufriedenheit zu wachsen. Einem Bericht von Sahara Reporters vom 7. September zufolge haben nicht weniger als 196 Soldat*innen ihre Kündigung eingereicht, von denen einige zu ausländischen Streitkräften wie der britischen, ukrainischen und russischen Armee übergelaufen sind.
In dem Bericht wurde auch berichtet, dass viele der Soldat*innen diese Entwicklung auf eine zunehmend schlechte Moral zurückführten, die durch schlechte soziale Bedingungen und tief verwurzelte Korruption in den Reihen des Militärs verursacht wurde. Der Bericht ging noch weiter und enthüllte, dass eine Reihe von Soldat*innen mit den #Endbadgovernance-Protesten sympathisierten, was angesichts der Tatsache, dass die Krise des Landes die große Mehrheit der Nigerianer*innen trifft, verständlich ist. Es besteht die Möglichkeit, dass sich diese aufkommende Unzufriedenheit im Militär zu einer potenziellen militärischen Intervention ausweiten könnte, wenn die arbeitenden Massen die politische Lücke nicht füllen.
Fürs Protokoll: Michael Lenin, der Mitglied des CWI in Nigeria ist, unterstützt den Aufruf zu einem Militärputsch nicht und ist standhaft geblieben im Kampf für die Bildung einer Massenpartei der arbeitenden Bevölkerung, die mit einem sozialistischen Programm bewaffnet ist, das darauf abzielt, eine Regierung zu bilden, die den diebischen politischen Eliten in Nigeria die Macht entreißt und die Wirtschaft unter das kollektive Eigentum und die demokratische Kontrolle der Arbeiter*innenklasse stellt. Dies würde es ermöglichen, die enormen natürlichen und menschlichen Ressourcen des Landes zum Wohle aller und nicht der gierigen Wenigen zu nutzen.
Darüber hinaus ist der Versuch, eine Verbindung zwischen seinem Beinamen “Lenin” und Putins Russland herzustellen, lächerlich, da es keine politische oder ideologische Verbindung zwischen Wladimir Lenin, der die historische bolschewistische Revolution in Russland anführte, und Putin geben kann, der bestenfalls ein gangsterkapitalistischer Politiker ist. Am 2. Februar 2022 berichtete die Financial Times, wie Putin in einem verzweifelten Versuch, die Invasion in der Ukraine zu rechtfertigen, nicht zögerte, Lenin dafür verantwortlich zu machen, dass er das Recht der Ukraine auf Selbstbestimmung bis hin zur Sezession unterstützt habe.
Nach einer massiven Kampagne sowohl in Nigeria als auch international, insbesondere in Großbritannien, gegen die Festnahme und Inhaftierung der Demonstranten sah sich die Regierung offenbar zu einem Rückzug gezwungen, so dass zehn von ihnen, darunter Michael und Sodiq, am 11. September Kautionsauflagen für ihre Freilassung erhielten. Die Kautionsbedingungen waren jedoch sehr streng und beinhalteten Bürgschaften in Höhe von mehr als 6.000 Dollar sowie Grundbesitz in der Hauptstadt des Landes. Und das in einem Land, in dem der neue Mindestlohn etwa 42 Dollar pro Monat beträgt. Eine weitere Bedingung, die von der Absicht zeugt, künftige Proteste zu verhindern, ist das Verbot, während des gesamten Prozesses an Protesten teilzunehmen oder gar Interviews zu geben. Die Kampagne, die darauf abzielt, dass der Staat alle erfundenen Anklagen fallen lässt und alle anderen noch inhaftierten Demonstrant*innenen freilässt, muss fortgesetzt werden.
Alle Bedingungen, die zu den Protesten geführt haben, sind nach wie vor vorhanden und haben sich mit der jüngsten Erhöhung der Treibstoffpreise in Nigeria sogar noch verschlimmert. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Gewerkschaftsführung in Nigeria, der NLC und der TUC (der Dachverband der Gewerkschaften für leitende Angestellte), den Erwartungen gerecht werden und die Kampagne zur Freilassung und zum Freispruch aller Demonstrant*innen unterstützen. Außerdem sollten die Gewerkschaften endlich mit der sofortigen Mobilisierung ihrer Mitglieder für ernsthafte Massenaktionen und einen Generalstreik beginnen, um die Regierung zu zwingen, den Mindestlohn vollständig einzuführen und alle widerwärtigen neoliberalen Maßnahmen rückgängig zu machen, wie zum Beispiel die Erhöhung der Treibstoffpreise, die Anhebung der Stromtarife, die Gebührenerhöhungen an den Hochschulen und den Einheitsschulen und vieles mehr.
Der Grund dafür, dass die Regierung und ihre Apologet*innen schnell und dreist behaupten, ihre neoliberale Politik sei die notwendige harte Entscheidung, liegt darin, dass die Gewerkschaftsführung nicht mutig ein alternatives Programm der Verstaatlichung und demokratischen Kontrolle vorlegt. Für einen echten Wandel in Nigeria ist es dringend notwendig, dass die Arbeiter*innenklasse für die Bildung einer Massenpartei der Werktätigen kämpft, die alle pro-kapitalistischen Parteien herausfordern und den Reichtum den raffgierigen Eliten entreißen kann, während sie die Führungsspitzen der Wirtschaft unter das kollektive Eigentum und die demokratische Verwaltung der Arbeiter*innen, der Jugend und der Armen stellt, damit sich das Land endlich ernsthaft entwickeln kann.
