Interview mit Sonja Grusch, Lehrerin an einer Wiener Mittelschule, Quereinsteigerin
(Unterhalb des Interviews findet ihr Sonjas Aufruftext zur Initiative und den Link zur Unterschriftenliste für die Dienststellenversammlungen)
Sozialistische Offensive: In den Medien wird aktuell viel über den Personalmangel im Bildungsbereich berichtet, allerdings oft mit rassistischem Einschlag (der Asylzuzug sei schuld). Kannst du uns etwas über die Situation der Lehrer*innen erzählen? Was sind die Gründe für den Personalmangel?
Sonja Grusch: Der Personalmangel ist ein Puzzlestein in der allgemeinen Bildungsmisere. Und die existiert auch nicht erst seit gestern, sondern ist schon lange bekannt und wird immer schlimmer. Daran ändern auch die vielen guten Ideen nichts, die man in der Ausbildung lernt, die aber nicht anwendbar sind, weil es an allen Ecken mangelt. Es gibt zu wenig Räume, zuviel Schüler*innen pro Klasse, zu wenig Unterstützungspersonal, zu wenig, zu wenig, zu wenig. Frag irgendeine Lehrperson und der/die wird dir eine Liste von Dingen aufzählen, die nötig wären, aber nicht gehen, weil eben die Ressourcen nicht vorhanden sind.
Dazu kommt noch, dass die Welt, in der die Schüler*innen aufwachsen ja auch nicht gerade leichter wird. Kriege, Klimakatastrophe und alles wird teurer, Politiker*innen die von “Remigration” faseln, Mädchen die Angst haben, weil irgendwelche Arschlöcher einen “Rape day” ausrufen – und das ist ja nur die Spitze des Eisbergs, also eines kapitalistischen Systems das tief in der Krise steckt. Viele haben von Zuhause nicht die nötige Unterstützung, weil die Eltern gar nicht die Möglichkeit haben zu helfen. Viele sehen eine mehr als düstere Zukunft vor sich und bekommen, v.a. wenn sie Migrationshintergrund haben, ständig vermittelt, dass sie unerwünscht sind. In der Schule trifft das alles aufeinander und kann dort aber natürlich nicht gelöst werden. Gesellschaftliche Probleme zu lösen kann nicht auf den/die einzelnen Schüler*in bzw. Lehrperson abgeschoben werden. Der Politik ist das – je nach Schultyp egal, ziemlich egal oder völlig egal. Wenn die Ausgaben für “Sicherheit” (Polizei, Militär etc.) heuer im Vergleich zu 2023 um +12,5%. steigen, die für Bildung und Forschung aber nur um 4,2% dann ist eigentlich eh schon klar, wo die Prioritäten liegen. Wir leben in einer kapitalistischen Welt, in der alleine Profite zählen. Das ist an sich natürlich nichts Neues, aber weil dieses kapitalistische System sich von Krise zu Krise hantelt und die nächste eigentlich nur eine Frage der Zeit ist bleibt für Bereiche wie eben das Bildungswesen immer weniger Spielraum, Probleme auch im Bildungswesen werden lieber mit Law and Order beantwortet, statt das nötige Geld in die Hand zu nehmen. Das passt auch gut in den Trend zur Aufrüstung und Militarisierung im Zuge der wachsenden internationalen Spannungen. Das gilt übrigens für alle Parteien, die grad im Nationalrat sind – weil die nämlich alle in einer Regierung sitzen, im Bund oder den Ländern. Und dort eben nicht wirklich was tun, um die Lage zu verbessern. Wenn was von ihnen kommt, dann reicht das von rassistischer Ablenkung wie durch die FPÖ über Schulterklopfen bis zu Krokodilstränen. Von dort ist also nichts zu erwarten!
Wie ist die Stimmung unter Lehrer*innen? Was hat zu eurer/deiner Initiative für Dienststellenversammlungen geführt?
Unter den Kolleg*innen gärt es schon lange. Demos gibt es seit Jahren, zunehmend auch im Rahmen der Bildungsaktionstage. Von der Gewerkschaft kommt aber nicht wirklich was. Dh auf der einen Seite die Beschäftigten, die zu Recht eine härtere Gangart verlangen, auf der anderen die Gewerkschaftsführung, die auf nette Plauscherln mit den politisch Verantwortlichen setzt. Ich denke, wir alle haben schon soooo viele Unterschriftenlisten unterschrieben, die nichts gebracht haben. Und waren auf soooo vielen Demos, die auch keine Verbesserung erreicht haben. Lass mich das klarstellen: es ist super, wenn viele Menschen bei Demos protestieren – aber es reicht leider nicht. Letztes Jahr haben rund 5.000 Kolleg*innen für Streiks unterschrieben. Für immer mehr Kolleg*innen ist klar: ohne Streik wirds nicht gehen. Also eigentlich bräuchte es Streiks, die die Schulen mal dicht machen, für ein paar Stunden oder auch Tage. Die Idee für Dienststellenversammlung ist quasi als Schritt auf dem Weg dorthin entstanden. Weil uns klar war, dass wir beim Bildungsaktionstag am 6. Juni auch am Vormittag Aktionen setzen müssen, das aber halt nicht geht, wenn man Unterricht hat. Eigentlich wäre es für die Dienststellenausschüsse (das entspricht quasi den Betriebsräten bei den Lehrer*innen) recht leicht, solche Dienststellenversammlungen einzuberufen. Das können sie natürlich auch während der Arbeitszeit tun und auch an einem Ort im Freien. Die Kolleg*innen beim BIM (die Freizeitpädagog*innen von Bildung im Mittelpunkt) haben uns im letzten Jahr vorgezeigt, wie das geht! Das Problem ist: die Dienststellenausschüsse machen das nicht. Bisher hat kein Dienststellenausschuss eine Dienststellenversammlung einberufen – und dazu muss man wissen, dass die „farbliche“ Zusammensetzung bzw. Dominanz durchaus unterschiedlich ist. Also teilweise dominieren die „schwarzen“ Gewerkschafter*innen, teilweise die „roten“ und in vielen gibt es auch noch die „grünen“. Ich hab da bisher v.a. Ausflüchte gehört von „wir haben fruchtbare Verhandlungen“ bis „das muss von oben kommen“. Das klingt alles sehr nach Ausreden. Stellen wir uns mal vor, ein Dienststellenausschuss prescht hier vor und kündigt eine solche Dienststellenversammlung am 6.6. an, am Vormittag bei der Votivkirche, wo das Bildungspicknick stattfindet. Das wäre ein starkes Zeichen dem sich andere anschließen würden und dann würden sich hunderte, oder sogar tausende Lehrer*innen treffen und könnten mal sehr laut und deutlich sagen, wo der Schuh drückt – und dass sie z.B. als nächsten Schritt bereit sind, zu streiken.
Es handelt sich um eine Initiative von unten – was ist der Plan?
Dazu muss man mal verstehen, wie die Dienststellen organisiert sind. Im AHS/BHS Bereich gilt im Wesentlichen „eine Schule = eine Dienststelle“. Im Pflichtschulbereich (Volksschulen, Berufsschulen, Mittelschulen) umfasst ein Dienststellenbereich einen oder mehrere Bezirke – das ist natürlich wesentlich schwieriger. Nach §6 (2) PVG kann ⅓ der Bediensteten in jeder Dienststelle eine solche Dienststellenversammlung verlangen. D.h. wenn also die Dienststellenausschüsse nicht von sich aus zu solchen Dienststellenversammlungen aufrufen, dann kann ein Drittel der Beschäftigten einer Dienststelle das eben einfordern. Was in einer AHS/BHS natürlich leichter ist, also im Pflichtschulbereich. Ich muss noch dazu sagen, dass der Dienststellenausschuss den Ort und das genaue Datum dann frei wählen kann, dh natürlich selbst wenn ein Drittel unterschreibt, die Dienststellenversammlung dann in der Schule und nicht am 6.6. stattfinden könnte. ABER: Selbst das wäre noch besser als nix und außerdem sind im Herbst Personalvertretungswahlen. Die Jahreskarte in Wien für Landeslehrer*innen ist natürlich ein nettes Zuckerl – aber das entspricht einer Lohnerhöhung von 26 Euro pro Monat. Wir sind ja keine Idiot*innen und wissen sehr genau, dass das nicht einmal der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein ist! Wer also bei der Personalvertretungswahl gewählt werden will, sollte halt auch wirklich mal tun, was die Kolleg*innen fordern und brauchen. Insofern können wir mit der Aktion nur gewinnen: im schlechtesten Fall haben wir im Zuge der Mobilisierungen neue Kolleg*innen getroffen, die was tun wollen. Aber natürlich wäre es besser, wenn es in einzelnen Bereichen oder am besten darüber hinaus am 6.6. solche Dienststellenversammlungen gibt – und dort die nächsten Schritte in Richtung Streik diskutiert werden.
Welche Politik müsste die Gewerkschaftsführung machen? Was müsste sich in der Gewerkschaft ändern?
Naja, so einen Kurswechsel in Richtung kämpferische Gewerkschaftspolitik braucht’s natürlich in der gesamten Gewerkschaft. Die faulen Kompromisse der letzten Jahrzehnte können sich die Handelsangestellten oder die Eisenbahner*innen ja auch nicht leisten. Insofern brauchen wir überall einen kämpferischeren Kurs und den werden wir nur kriegen, wenn wir uns gemeinsam auf die Füße stellen und nicht darauf warten, dass von oben was kommt! Gewerkschaften sollten ja eigentlich Kampforganisationen sein mit einer Führung, die tatsächlich bereit ist, ernsthafte Kämpfe zu organisieren und zu führen. Und es ist höchste Zeit, dass wir sie wieder dazu machen!
Wie müsste man die Missstände im Bildungswesen tatsächlich angehen? Was bräuchte es?
Das Minimum, um die Situation nicht noch zu verschlechtern, wäre die laufende automatische Anpassung der Bildungsausgaben (inkl. der Gehälter) an die Inflation. Auf der Basis müsste dann aber auch noch zusätzlich Geld in die Hand genommen werden. Aber auch hier ist klar: das wird nicht von selbst kommen. Das wissen wir doch eh schon immer: Verbesserungen werden nicht geschenkt, die müssen hart erkämpft werden! Eine lahme Gewerkschaft ist dafür allerdings auch nicht wirklich hilfreich. Da braucht man sich dann auch nicht wundern, wenn Kolleg*innen das Handtuch werfen. Wien ist hier auch gar nicht so „anders“. Z.B. könnte die Gemeinde Wien eine Bauoffensive starten und leerstehende (geeignete) Räumlichkeiten für zusätzliche Schulen nutzen. Da könnte auf einen Schlag mal Unterstützungspersonal eingestellt werden, Sekretariatskräfte und v.a. Sozialarbeiter*innen.. Und natürlich hunderte neue Lehrer*innen. Wenn z.B. bei den Quereinsteiger*innen weitgehend ignoriert wird, dass viele vorher schon lange gearbeitet haben, oft sogar im Bildungsbereich und sie daher wesentlich niedrigere Gehälter kriegen, dann braucht man sich nicht wundern, wenn viele bald wieder gehen. Die Liste könnte ich noch ewig verlängern, aber im Kern bleibt: Es braucht dramatisch mehr Geld fürs Bildungswesen. Und ja, das ist da – letztes Jahr haben die Banken z.B. 38% mehr an Gewinnen gemacht, ähnlich in anderen Bereichen. Ich denke, da ist ziemlich klar, wo das Geld ist… Bei jenen, die ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken und ihr Geld „steuerschonend“ parken.
Was möchtest du uns noch zu dieser Initiative erzählen?
Dass sie nur funktionieren kann, wenn DU mitmachst. Also druck dir die Liste aus und sammel bei deinen Kolleg*innen. Leite sie an andere weiter, die du kennst. Schick sie uns. Und v.a. organisiere dich auch längerfristig für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik und werde darüber hinaus politisch aktiv dafür, dass all diese himmelschreienden Ungerechtigkeiten nicht mehr “normal” sind sondern es normal wird, dass der Reichtum, den wir alle schaffen auch für alle eingesetzt wird. Klar, da ist noch einiges dafür zu tun, aber es lohnt sich.
Am 6.6. ist „Bildungsaktionstag“: Weil die Bildung so brennt – Nächste Station: Dienststellenversammlungen jetzt!
Wie viele Unterschriftenlisten hast du schon unterzeichnet, die Verbesserungen im Bildungswesen fordern? Auf wie vielen Protesten zum selben Thema warst du schon? Ich vermute, es waren einige… Und doch wird die Situation nicht besser, sondern laufend schlechter. Es mangelt auch nicht an guten Ideen und Konzepten. Die gibt es, die sind bekannt, die kennen wir alle, haben wir schon oft diskutiert. Aber die tägliche Realität sieht völlig anders aus. Das Bildungswesen kracht an allen Ecken und Enden. Es fehlt am Personal, an Räumen, an Unterrichtsmaterial – kurz: es fehlt an Ressourcen und das nicht erst seit gestern. Dass das so ist, ist das Ergebnis von politischen Entscheidungen. So steigen die Ausgaben für “Sicherheit” (Polizei, Militär etc.) heuer im Vergleich zu 2023 um +12,5%. Für Bildung und Forschung sind nur +4,2% vorgesehen. Bei einer Jahresinflation 2023 von knapp 8% und einer Prognose für 2024 von rund 4% bedeutet das real nicht mehr, sondern weniger Geld fürs Bildungswesen.
Unterschriften und Demos reichen nicht!
Der Mangel im Bildungswesen liegt auch nicht daran, dass kein Geld da wäre. Die Banken haben 2023 ihre Gewinne um satte 38% erhöht, auch im Energiesektor, im Tourismus und in anderen Bereichen gibt es hohe Gewinne. Und doch ist angeblich kein Geld da, um endlich die nötigen Ressourcen fürs Bildungswesen zur Verfügung zu stellen. Dieses Missverhältnis ist kein Naturgesetz, sondern eine bewusste politische Entscheidung und die Leidtragenden sind die Lernenden, die Lehrenden und die Angehörigen. Und weil das so ist, bringen mehr Unterschriftenlisten und Demos leider nicht die erhoffte Wirkung. Denn die politisch Verantwortlichen in Bund und Land (von FPÖ, SPÖ, ÖVP, NEOS und Grüne) wissen das alles und haben sich bewusst entschieden zu tun was sie tun, bzw. eben nicht tun. Darum ist es an der Zeit, ein paar Gänge hoch zu schalten.
6. Juni Bildungsaktionstag mit Dienststellenversammlungen auf ein neues Level heben!
Am 6. Juni ist der nächste Bildungsaktionstag. Österreichweit werden Schüler*innen, Lehrende und Eltern Verbesserungen im Bildungswesen einfordern. Die meisten Proteste finden am Nachmittag statt, stören den laufenden Betrieb nicht, sondern blockieren bestenfalls die eine oder andere Straße mit einer Demonstration. Das kann leicht ignoriert werden. Welche Wirkung aber hätte dieser Tag, wenn die Bildungseinrichtungen “zu” wären?! Dann könnten auch die Eltern nicht zur Arbeit gehen, weil das eine Dienstverhinderung ist (AngG §8(3); ABGB §1154b(5). Ein solcher Protesttag hätte eine enorme Auswirkung und würde den Druck auf die politisch Verantwortlichen massiv erhöhen. Schon 2023 haben rund 5.000 Kolleg*innen mit einer Unterschrift betont, dass es Zeit für Streiks auch im Bildungswesen ist. Nicht weil es so lustig ist, sondern weil es so notwendig ist! Doch “unsere” Gewerkschaft GÖD zieht es vor, das zu ignorieren.
Also setzen wir als erstes einen Schritt vorher an – und das sind Dienststellenversammlungen. Versammlungen während der Arbeitszeit, in denen wir zusammenkommen, um über die Situation und unsere nächsten Schritte zu diskutieren. Am besten finden solche Dienststellenversammlungen dann gleich im Rahmen der Aktionen des Bildungsaktionstages am Vormittag statt. Und weil die Probleme ja nicht nur in der einen oder anderen Schule bzw. Dienststelle liegen, müssen wir alle zusammenkommen. Am besten auf einem großen Platz im Freien. Dann wird gleich sichtbar, wie viele wir sind – und wie betroffen und wütend wir sind. Dann kann niemand für uns reden, denn da reden wir selbst für uns. Dienststellenversammlungen müssen vom Dienststellenausschuss einberufen werden. Tut er das nicht, kann auch ⅓ der Beschäftigten eine solche einfordern. Und genau das wollen wir tun: hilf mit und sammle Unterschriften für eine Dienststellenversammlung im Rahmen des Bildungsaktionstages am 6. Juni
Es gibt keine Garantie, dass wir rechtzeitig das Drittel in allen Bereichen erreichen und es gibt keine Garantie, dass die Dienststellenausschüsse dann auch wirklich eine Dienststellenversammlung am 6. Juni einberufen oder sich nicht doch über den Willen der Beschäftigten hinwegsetzen. Was aber auch zeigen würde, dass ihnen herzlich egal ist, was die Beschäftigten (also die, die sie vertreten sollen!) wollen. ABER wir können nur gewinnen: wir lernen mehr Kolleg*innen kennen, die an echtem Widerstand interessiert sind. Wir erhöhen den Druck auf die Dienststellenausschüsse und die Gewerkschaft. Wir organisieren uns. Wenn wir Dienststellenversammlungen erreichen, ist das ein großer Schritt nach vorne, aber auch die Mobilisierung dafür ist bereits wichtig. Und all das ist nötig, um endlich wirkliche Verbesserungen im Bildungswesen zu erkämpfen. In diesem Sinne: jetzt unterschreiben, heute noch sammeln, morgen aktiv werden!
Die Unterschriftenliste findet ihr hier: https://aktion-bildung.at/unterschriftenaktion-wir-haben-nicht-genug/
