„Die Arbeiter*innen waren in Nordirland noch nie so vereint“

Wir veröffentlichen hier zwei Artikel zu diesem bedeutenden Arbeitskampf in Nordirland.

Am 18. Januar streikten in Nordirland rund 150.000 Beschäftigte des öffentlichen Diensts (öffentliche Verwaltung, Gesundheitswesen, Bildung, Transport), der größte Streik seit zwei Generationen. Dazu aufgerufen hatten NIPSA (Northern Ireland Public Service Alliance), die größte Gewerkschaft Nordirlands, und viele weitere Gewerkschaften. Die Beschäftigten der Verwaltung streikten für mehr Gehalt, die Beschäftigten in Gesundheit und Bildung streikten auch für eine höhere Personalbemessung und gegen Kürzungen.

von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart

Seit 2022 boykottiert die Democratic Unionist Party, die größte protestantische Partei Nordirlands, das Regionalparlament (Stormont). Nach dem Karfreitagsabkommen von 1998, das den Nordirlandkonflikt offiziell beendete und zugleich die Spaltung des Landes in eine protestantische und eine katholische Community festschrieb, müssen aber die größte protestantische und die größte katholische Partei gemeinsam regieren. Wenn sie sich nicht einigen können, wird das Land von London direkt regiert, so auch seit 2022 wieder.

Die Londoner Regierung versucht die DUP zu erpressen, ihren Boykott aufzugeben, indem sie die Bewilligung zusätzlicher Gelder (einschließlich einer Anpassung der Gehälter an die gestiegenen Preise) davon abhängig macht. So werden die öffentlichen Beschäftigten zum Spielball des Machtkampfes kapitalistischer Politiker*innen.

Aber während die Politiker*innen streiten, sind die Arbeiter*innen so einig wie nie.

Militant Left (Kämpferische Linke, das CWI in Irland) spielt eine wichtige Rolle in NIPSA. Sowohl die Generalsekretärin der Gewerkschaft, Carmel Gates, als auch ihre Präsidentin Tanya Killen sowie weitere Vorstandsmitglieder gehören ihr an.

Kämpferische Kundgebungen

Genoss*innen von Militant Left nahmen an Kundgebungen in Enniskillen, Magherafelt, Omagh, Cookstown und Belfast teil. Mehrere von ihnen konnten Reden halten.

Tanya Killen sagte unter anderem: „Das nächste Mal und es wird ein nächstes Mal geben, wenn wir auf die Straße gezwungen werden, sorgen wir dafür, dass es Hunderttausende mehr sein werden“.

Carmel Gates sagte unter anderem: „Wir wollen die Regionalversammlung zurück, aber wir wollen, dass sie vollständig finanziert wird, so dass man nicht zwischen der Bezahlung der Beschäftigten des öffentlichen Sektors und der Ernährung der Kinder wählen muss. Und wir wissen, dass Kinder hungern! Und Arbeit*innen haben zwei Jobs oder sind auf Tafeln angewiesen. Und wir sagen:  ,Genug ist genug’!

Menschenleben stehen auf dem Spiel. Die Wartelisten im Gesundheitswesen sind so lang, dass Menschen von heilbar Kranken zu unheilbar Kranken werden. Und wir sagen: ,Genug ist genug’! Wir haben nicht genug Geld für Dienstleistungen, wir haben nicht genug Geld für Löhne und Gehälter, und wir werden nicht weniger als das akzeptieren, was wir brauchen.

Wenn der heutige Tag das Finanzministerium nicht aufhorchen lässt, werden wir zurückkommen und immer größer werden. Es hat ein Führungsvakuum gegeben, und die Gewerkschaftsbewegung ist in dieses Vakuum gegangen. Die Arbeiter*innen stehen zusammen und sind geeint. Wir sind eins, und vereinte Arbeiter*innen werden niemals besiegt werden!”

Der Streiktag hat die Forderungen der Beschäftigten unüberhörbar in die öffentliche Debatte gebracht. NIPSA hat schon angekündigt, dass es weitere und größere Streiks geben wird, wenn das nicht genügt, sie zu erfüllen.

Mit beiden Händen

Für Sozialist*innen ist aber klar, dass es die Probleme der Beschäftigten nicht löst, wenn neoliberale Parteien in Belfast statt in London über sie bestimmen. Arbeiter*innen sind am stärksten, wenn sie mit beiden Händen für ihre Interessen kämpfen, mit der betrieblich-gewerkschaftlichen und der politischen Hand. Deshalb diskutiert Militant Left mit anderen Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen in Bewegungen über den Aufbau einer gemeinsamen Partei für protestantische und katholische Arbeiter*innen.

Gemeinsamer Kampf der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gegen die Regierung in London

In Nordirland wird am 18. Januar die bisher größte Streikwelle stattfinden, an der sich über 150 000 Beschäftigte beteiligen werden. Im gesamten öffentlichen Sektor fordern die Beschäftigten Lohnerhöhungen sowie gegebenenfalls die Gewährleistung der Lohngleichheit mit den Beschäftigten des öffentlichen Sektors in Großbritannien. Von den Streiks sind unter anderem das Bildungswesen, der öffentliche Nahverkehr und das Gesundheitswesen betroffen. Ein Wirtschaftswissenschaftler schätzt, dass der Streik zu Verlusten von mehr als zehn Millionen Pfund führen wird. Carmel Gates, die Generalsekretärin der NIPSA, der größten Gewerkschaft im Norden, bezeichnete den 18. Januar als eine Art Generalstreik.

Von Militant Left-Mitgliedern in Nordirland (CWI-Sektion in Irland)

Hintergrund dieses beispiellosen Arbeitskampfes ist die anhaltende Suspendierung der Exekutive in Stormont und die Weigerung der Tory-Regierung, ein Finanzpaket zur Deckung des Bedarfs der Beschäftigten im öffentlichen Sektor bereitzustellen. Die Democratic Unionist Party (DUP) hat sich im Februar 2022 im Streit über die Handelsvereinbarungen nach dem Brexit aus der Exekutive von Stormont (dem nordirischen Regionalparlament, A.d.Ü.) zurückgezogen, die sich die Macht teilt. Der britische Staatssekretär für Nordirland, Chris Heaton Harris, behauptet, dass nach monatelangen Verhandlungen viele der Forderungen der DUP erfüllt worden seien und ein Paket von 3,3 Milliarden Pfund auf dem Tisch liege. Es gibt jedoch noch keine Anzeichen für eine Rückkehr der Exekutive.

Es wird berichtet, dass der Vorsitzende der DUP, Sir Jeffrey Donaldson, nach Stormont zurückkehren möchte, aber die Hardliner unter den Mitgliedern der DUP fordern, dass sie sich zurückhalten. Meinungsumfragen zeigen, dass die Wähler*innen der DUP eine harte Haltung befürworten, da sie befürchten, dass die Vereinbarungen über die “Irische Seegrenze” die Stellung Nordirlands im Vereinigten Königreich untergraben. Einige in der DUP glauben, dass, wenn sie abwarten, bis eine Keir Starmer Labour-Regierung später in diesem Jahr an die Macht kommt, die engere Beziehungen zur EU anstrebt, diese einen Teil der Warenkontrollen bei der Einfuhr von Waren aus Großbritannien nach Nordirland aufheben könnte, was für viele Unionisten eine große Frustration darstellt.

Heaton Harris muss innerhalb einer gesetzlichen Frist Neuwahlen zur Versammlung einberufen oder erneut verschieben, wenn die Exekutive nicht bis zum 18. Januar wiederhergestellt ist. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998, das drei Jahrzehnte bewaffneten Konflikts beendete, liegt die Versammlung zu mehr als vierzig Prozent auf Eis. Das CWI wies damals darauf hin, dass eine auf sektiererischen Blöcken basierende Machtteilung immer Instabilität bedeuten würde und dass die Exekutive zum Zusammenbruch neigen würde.

Heaton Harris sagte, dass ohne eine funktionierende Exekutive das 3,3-Milliarden-Pfund-Paket, einschließlich fast 600 Millionen Pfund für Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor, nicht zur Verfügung stehen wird. Diese Behauptung wird jedoch im Norden weitgehend als Druckmittel gegen die DUP interpretiert, um sie zurück in die Versammlung zu zwingen.

Finanzen in schwerer Krise

Die öffentlichen Finanzen Nordirlands befinden sich in einer schweren Krise. Hochrangige Beamt*innen in Belfast, die Nordirland in Abwesenheit der Stormont-Exekutive leiten, haben die Dienstleistungen stark gekürzt. Der Norden hat die schlimmsten Krankenhauswartelisten im Vereinigten Königreich. Kein Wunder, dass bisher ein Dutzend Gewerkschaften für den 18. Januar zu einem Massenstreik aufgerufen haben. „Wir bereiten einen Generalstreik für den 18. Januar vor, um ihn [Heaton Harris] zum Handeln zu zwingen, wenn er bis dahin nicht geliefert hat”, sagte Carmel Gates.

Bislang hat die Tory-Regierung die Bereitstellung von Mitteln für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ausgeschlossen, solange Stormont nicht wieder funktioniert. Dies wird gemeinhin als grobe Sanktion der Tory-Regierung in Westminster gegen die DUP angesehen. Die Lohnabhängige haben verständlicherweise das Gefühl, dass sie als politischer Spielball benutzt werden und für die anhaltende politische und finanzielle Krise bezahlen müssen. Die weit verbreitete Frustration und Wut unter den Beschäftigten des öffentlichen Sektors, deren Löhne um Tausende von Pfund hinter denen ihrer Kolleg*innen in Großbritannien zurückgeblieben sind, ist so groß, dass nicht nur die größeren Gewerkschaften wie NIPSA, Unite, Unison und GMB, sondern auch andere kleinere Gewerkschaften, darunter die Gewerkschaft des Royal College of Nurses, die Society of Radiographers, die National Association of Head Teachers, die Chartered Society of Physiotherapists und die British Dietetic Association, aktiv werden.

Anhänger von Militant Left (CWI in Irland) spielen in einigen Gewerkschaften und lokalen Gewerkschaftsräten eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung der historischen Streikaktion. Am 18. Januar werden mehrere Massenkundgebungen der Arbeiter*innen stattfinden, unter anderem in Belfast, Derry, Omagh, Enniskillen, Cookstown und Magherafelt.

Dies ist eine wichtige Gelegenheit, um die Kampagne der Beschäftigten für angemessene Löhne zu entwickeln. Sie darf nicht am 18. Januar enden, sondern diese massive Demonstration von Arbeiter*innenmacht, die den Norden weitgehend lahm legen wird, sollte eine Startrampe für weitere Arbeitskämpfe und andere Aktionen sein, um die Tories zur Zahlung zu zwingen. Für Militant Left zeigt der 18. Januar auch die potenzielle politische Macht der vereinigten Arbeiter*innenklasse. Ausgehend von dieser Massenaktion sollte innerhalb der Arbeiter*innenbewegung eine Diskussion und Debatte über die Notwendigkeit einer unabhängigen politischen Vertretung und einer Opposition zu den konfessionell-sektiererischen politischen Parteien und der Tory-Partei des Großkapitals angestoßen werden.

Die Arbeiter*innen sind am stärksten, wenn sie mit beiden Händen kämpfen – mit der industriellen und der politischen. Der 18. Januar wird zeigen, dass die Arbeiterklasse die stärkste Kraft in der Gesellschaft ist. Aus diesem historischen Aktionstag können wichtige Initiativen zum Aufbau einer politischen Alternative für die Arbeiter*innenklasse erwachsen, als Schritte zum Aufbau einer breiten Massenpartei der Arbeiter*innenklasse mit einem kühnen sozialistischen Programm, das die konfessionelle Kluft überwinden kann.

Bericht auf www.socialistworld.net auf Englisch