Philipp Stott und Lance Law, CWI in Schottland

Die vielfältigen Probleme, mit denen Chinas staatskapitalistische Wirtschaft konfrontiert ist, haben sich im Jahr 2023 erheblich verschärft. Die westliche kapitalistische Presse ist voll von oft eigennützigen Analysen, die das Ende des „chinesischen Wunders“ vorhersagen.

Darüber hinaus haben die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA zu schweren Handelsembargos geführt – zunächst unter der Präsidentschaft von Donald Trump und in jüngster Zeit durch Bidens so genannte „Chip Kriege“.

Der US-Imperialismus ist entschlossen, seinen Hauptkonkurrenten in der Welt daran zu hindern, sich die fortgeschrittenen Technologien in der Halbleiterindustrie anzueignen, die den Übergang zu einer entwickelten Wirtschaft ermöglichen. Die KPCh hingegen versucht, China von einem „Montagewerk“ zu einer Produktionswirtschaft mit höherer Wertschöpfung zu machen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche grüne Energie, Gesundheitswesen, künstliche Intelligenz, Supercomputer, Biowissenschaften und Militärtechnologie.

In diesem sich beschleunigenden Wirtschaftskrieg mit den USA unternimmt die KPCh große Anstrengungen, um die „Volkswährung“ – den chinesischen Renminbi – zu einem internationalen Konkurrenten des US-Dollars zu machen. Die jüngste Ausweitung des von China beeinflussten BRICS-Wirtschaftsblocks, dem nun unter anderem Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Argentinien und der Iran angehören, ist eine weitere Eskalation des Konflikts. Mit dem zehnten Jahrestag der chinesischen Initiative für eine neue Seidenstraße ist klar, dass wir uns, wie das CWI vorausgesehen hat, in einer Ära der weltweiten Unordnung und des wachsenden Konflikts zwischen rivalisierenden Wirtschaftsblöcken befinden.

Inmitten einer globalen kapitalistischen Konjunkturabschwächung fügt die Konfrontation zwischen den USA und China ein weiteres destabilisierendes Element in die Weltwirtschaft selbst ein. China hat sich gegen die Exportverbote der USA gewehrt, indem es sich weigerte, wichtige Mineralien und Metalle zu verkaufen, die für moderne Halbleiter benötigt werden.

Die chinesische Autoindustrie ist inzwischen die größte der Welt und hat in diesem Jahr Japan überholt. Auch bei Elektrofahrzeugen und Batterietechnologie sind sie führend. Da Benzin- und Dieselfahrzeuge in Europa bis 2035 schrittweise aus dem Verkehr gezogen werden sollen, sehen chinesische Autokonzerne die Chance, einen großen Anteil des Marktes zu übernehmen.

Auf die US-Zölle auf chinesische Fahrzeuge reagierte das Regime mit einer Überschwemmung großer Teile des internationalen Marktes außerhalb der USA mit Autos. Allein in diesem Jahr, bis Juli 2023, stiegen die chinesischen Autoexporte um 86 %. In den letzten drei Jahren ist der Absatz um 400 % gestiegen. Der chinesische Besitz der Marken Volvo und MG lässt auch den Absatz in Europa sowie in Asien, Australien und Teilen Lateinamerikas steigen.

Das Ausmaß der Autoproduktion in China ist enorm. Um den Autoexport zu fördern, so berichtete die New York Times kürzlich, „bauen die Werften entlang des Jangtse-Flusses eine Flotte von Autotransportschiffen, die wie riesige schwimmende Parkplätze wirken und 5.000 oder mehr Autos auf einmal transportieren können.“ Sie fuhren fort: „Chinesische Autohersteller wie BYD und Chery und jene europäischen und singapurischen Schiffsunternehmen, die Autos für sie transportieren, sind fast für alle der 170 Aufträge für Autotransportschiffe verantwortlich, die jetzt weltweit anstehen. Vor Chinas Autoexportboom wurden nur vier pro Jahr gebaut.“

Diese exportorientierten Maßnahmen sind zum Teil eine Reaktion auf den sich verlangsamenden Binnenmarkt in China, der zu einer Überkapazität an Fahrzeugen geführt hat. Die Konjunkturabschwächung, nicht zuletzt die schwerwiegenden Probleme im Bau- und Immobiliensektor – das Baugewerbe macht fast 30 % der chinesischen Wirtschaftsleistung aus – hat das Wirtschaftswachstum in letzter Zeit stark beeinträchtigt.

Eine neue wirtschaftliche Situation

Zwischen 1978 und 2019 betrug die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate in China 9,45 %. In diesem Zeitraum ist auch das BIP pro Kopf der Bevölkerung um das 60-fache gestiegen. Die chinesische Regierung macht viel Aufhebens um die Behauptung, dass in China niemand mehr in Armut lebt. Zweifellos haben dieses rasante Wachstum und die massenhafte Verstädterung der Gesellschaft im Vergleich zu früher erhebliche Lohnsteigerungen ermöglicht. Ebenso wie das Entstehen einer großen Mittelschicht und eines Bürgertums.

Die Aussichten für die Wirtschaft sind heute ganz anders. In den letzten Jahren war eine Verlangsamung der Wirtschaft zu beobachten. Für 2023 wird ein BIP-Wachstum zwischen 3 % und 5 % erwartet. Die schwache wirtschaftliche Erholung nach Covid hat die meisten China-Beobachter überrascht.

Die Führung der KPCh sah sich gezwungen, die strengen Lockdown-Maßnahmen und ihre Null-Covid-Politik im Jahr 2022 aufzugeben. Die Lockdown-Politik, bei der ganze Gebiete, in denen Covid nachgewiesen wurde, unter Quarantäne gestellt wurden, führte dazu, dass die Bewohner*innen nicht mehr normal arbeiten und konsumieren konnten. Dies führte zu einem Rückgang zahlreicher Dienstleistungs- und Fertigungsindustrien.

In den großen exportorientierten Produktionsbetrieben wurden die Arbeiter*innen sogar in Schlafsälen, Kantinen und Fabriken eingesperrt. Im Jahr 2022 gab es eine Reihe von Fällen, in denen Bewohner kollektiv die Lockdowns der Gemeinden durchbrachen und Arbeiter*innen kollektiv aus den Fabriken flohen. Nach zahlreichen Protestmärschen im ganzen Land Ende 2022 beschlossen die lokalen Regierungen schließlich, die strenge Quarantänepolitik aufzugeben.

Als China 2008 von der Finanzkrise heimgesucht wurde, investierte die chinesische Regierung rund vier Billionen RMB (550 Milliarden US-Dollar) in die Gesellschaft. Der größte Teil dieser Investitionen floss in die Immobilienbranche und in Infrastrukturprojekte, die Chinas Bauwirtschaft ankurbelten und die Urbanisierung vorantrieben.

Vor allem nach 2016 wurden die Immobilienpreise immer unerschwinglicher. Der Zusammenbruch von Immobiliengiganten wie Evergrande im Jahr 2021 und die Tatsache, dass Country Garden heute am Rande des Abgrunds steht und mit riesigen Schulden belastet ist, zeigen, wie schwierig die wirtschaftliche Situation ist.

Die massive Verstädterung der letzten Jahrzehnte ermöglichte es, mit Immobilien und Bauvorhaben ein Vermögen zu machen. Es wurden riesige Bauprojekte durchgeführt, nicht nur für Wohnungen, sondern für ganze Städte, Straßen, Schienen und Verkehrsinfrastrukturen.

Sechs Geldbörsen leeren

Wohnraum ist für viele Chinesen inzwischen unerschwinglich geworden.  Im Jahr 2019 galt es für junge Familien noch als selbstverständlich, eigenständig Wohnungsbaudarlehen zu tragen, aber jetzt weigert sich die Mehrheit der jungen Leute, ein Haus zu kaufen. Für diejenigen, die es tun, muss die überwiegende Mehrheit der Familien „sechs Brieftaschen leeren“, was bedeutet, dass die Eltern und zwei Großelternteile beider Ehegatten in der Familie ihr gesamtes Geld aufbringen, um die Anzahlung für das Haus aufzubringen. In den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren wird immer noch ein erheblicher Teil des Einkommens für die Rückzahlung der Hypothek verwendet werden müssen.

Das Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben, die in den vergangenen dreißig Jahren ein nachhaltiges Wachstum bot, ist ebenfalls zerbrochen, da viele junge Menschen sich dafür entscheiden, die Städte zu verlassen und in ländliche Gebiete mit geringerem Konsumlevel und langsameren Lebenstempo zurückzukehren.

Die meisten jungen Paare entscheiden sich nicht mehr für Nachwuchs, was in China im Jahr 2022 erstmals zu einem negativen Bevölkerungswachstum geführt hat, wovon Branchen wie Kindergärten und Kinderkrankenhäuser betroffen sind.

In der letzten Statistik aus dem Jahr 2023 lag die Arbeitslosenquote junger Menschen in China bei über 20 %, und seit Juli veröffentlicht die chinesische Regierung keine Statistiken mehr über die Arbeitslosenquote junger Menschen.

Insgesamt ist das Lohnniveau in verschiedenen Regionen Chinas gesunken, aber das Phänomen der erzwungenen Überstunden hat sich nicht geändert. Chinesische Arbeiter*innen und Angestellte sind die Generation 996 – sie arbeiten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends, sechs Tage die Woche, so niedrig sind die angebotenen Löhne.

Dadurch bleibt wenig oder gar keine Zeit für den Konsum von Waren oder Dienstleistungen, was sich in Verbindung mit niedrigen Löhnen auch auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung in China ist auf die rasante Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse angewiesen.

Zusammen mit der kolossalen Ungleichheit der Vermögen bereitet dies die Bedingungen für einen Klassenkonflikt vor, der in einem bestimmten Stadium heftig ausbrechen kann. Nur 0,03 % der reichsten Menschen der Gesellschaft besitzen unglaubliche 67,4 % des nationalen Privatvermögens. Der Arbeiter*innenklasse und den ärmsten 94 % der Bevölkerung gehören nur 7 % des Vermögens.

ZIckzack der KPCh

90 % der 25 Millionen Unternehmen in China befinden sich in Privatbesitz. Xi sagte, der Privatsektor habe 2018 mehr als „50 Prozent der Steuereinnahmen des Landes, 60 Prozent der Wirtschaftsleistung und 80 Prozent der städtischen Arbeitsplätze“ bereitgestellt.

Es ist jedoch klar, dass der staatliche Sektor – und der von der KPCh dominierte Staat selbst – eine wichtige Rolle bei der Steuerung der Wirtschaft spielt, die weltweit einzigartig ist. Der strategische staatliche Einfluss auf einige Banken und das Baugewerbe sowie die starke Kontrolle über den Außenhandel und die Investitionen ermöglichen es der KPCh-Führung, innerhalb der Grenzen des anarchischen Charakters des kapitalistischen Marktes und einer sich verlangsamenden Weltwirtschaft als lenkender Einfluss zu agieren. 

Dazu gehört, dass die Xi-Führung den wachsenden Einfluss der kapitalistischen Klasse in China bis zu einem gewissen Grad einschränkt. So wurden beispielsweise seit 2018 Hunderte von Unternehmen verstaatlicht. Außerdem wird darauf bestanden, dass ein Teil der Gewinne im Rahmen einer Kampagne für „gemeinsamen Wohlstand“ in Form einer „Rückgabe von Kapitalgruppen an die Massen“ abgetreten wird. Dieser Plan zur „umfassenden Armutsbekämpfung“ war ein mächtiges Propagandainstrument der chinesischen Regierung.

Dies ist keineswegs ein ernsthafter Versuch der KPCh-Führung, sich in Richtung Sozialismus zu bewegen. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Abschwungs und wachsender Klassengegensätze versucht sie, ihre soziale Basis zu stärken, indem sie der Arbeiter*innenklasse einige Zugeständnisse macht und gleichzeitig versucht, einen Weg zur wirtschaftlichen Erholung zu finden. Das Xi-Regime fürchtet nicht nur einen Aufstand der Arbeiter*innenklasse und der Jugend, sondern muss sich auch vor Teilen der chinesischen kapitalistischen Elite in Acht nehmen, die sich mehr Unabhängigkeit und in Zukunft sogar die Staatsmacht selbst wünschen.

Der Eintritt der riesigen und jungen chinesischen Arbeiter*innenklasse in die Arena des Kampfes gegen die Kapitalist*innen und die KPCh-Führung selbst wird den Weg nach vorn weisen. Der Aufbau unabhängiger Gewerkschaften und einer revolutionären Massenpartei, die für einen echten Sozialismus auf der Grundlage der Verstaatlichung der Wirtschaft unter Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung kämpft, wird entscheidend sein.