Interview mit einer mobilen Pflegekraft

Zu wenig Bezahlung, schlechte Arbeitszeiten, zu wenig Personal und immer wieder Tötungs- und Selbsttötungsdelikte der zu Pflegenden – das ist, was die Medien immer wieder in Bezug auf die mobile Pflege berichten. Doch wie sieht der Alltag einer Pflegekraft im mobilen Dienst tatsächlich aus?  Und wie wirkt sich dieser auf die Klient/innen aus?

SO: In Bezug auf die Arbeitszeit: in der mobilen Pflege gibt es ja die 6-Tage-Woche, wie sieht dies in der Praxis aus?

P: Prinzipiell hat man jedes zweite Wochenende Dienst. Wie die 6-Tage-Woche da angewendet wird, kommt darauf an, wo man arbeitet. Es gibt Arbeitgeber, bei denen man direkt vor und nach einem Arbeitswochenende mindestens einen Tag frei hat – dafür hat man dann praktisch jeden Arbeitstag einen Teildienst [Teildienst ist, wenn man Vormittags arbeitet, dann durchschnittlich 2-3 Stunden Pause hat und dann wieder den ganzen Nachmittag bis am Abend arbeitet] oder der Arbeitgeber wendet die 6-Tage-Woche so an, dass man die meisten Tage „nur“ 6-7 Stunden am Tag arbeitet (es gibt trotzdem pro Woche 1-2 Teildienste, wo man gerne auch einmal auf 10 Stunden kommt) und man hat in der Woche vor dem Arbeitswochenende einen freien Tag – wenn dieser auf den Montag fällt, arbeitet man dann 11 Tage am Stück durch. Die 6-Tage-Woche ist ein bisschen eine Grauzone und Arbeitgeber haben hier doch einen gewissen Spielraum. 

SO: Wie ist es mit Überstunden?

P: Die mobile Pflege ist stressig, sowohl für uns als auch diejenigen, die unsere Dienstpläne machen, Klient/innen kommen plötzlich ins Krankenhaus & auch wieder zurück, Mitarbeiter/innen werden krank, es kommt immer plötzlich etwas, so kann es in der einen Woche sein, dass es total ruhig ist und wir sogar weniger Stunden arbeiten, als wir angemeldet sind und in der nächsten Woche bricht das Chaos aus und wir laufen von frühesten Morgenstunden bis am Abend und dies gerne einmal 11 Tage am Stück. Wenn es besonders stressig ist, kommt es auch vor, dass wir unseren freien Tag hergeben, um auszuhelfen. Auf Überstunden kommen wir fast jede Woche, da fast immer irgendetwas passiert, jedoch sind unsere Vorgesetzten sehr wohl darauf bedacht, dies dann in ruhigeren Zeiten, dann auch wieder zu vergelten. Und die starke Arbeitsbelastung ist natürlich auch nicht gut für die Klient/innen.

SO: Kann man auch sagen, man kann jetzt keine Überstunden machen oder seinen freien Tag hergeben?

P: Natürlich kann man dies, die Frage ist, ob man den Preis dafür bezahlen möchte. Unsere Vorgesetzten, welche die Diensteinteilungen machen, haben wirklich keinen leichten Job und ich habe den größten Respekt davor, was sie leisten müssen. Mitarbeiter/innen fallen aus, neue Klienten werden uns zugeteilt, „alte“ Klient/innen kommen aus den Spitälern zurück, dann haben diese alle (berechtigte) Sonderwünsche und jeder muss versorgt werden und wenn die Person, welche die Dienstplaneinteilung macht als Extrembeispiel plötzlich nur 5 Mitarbeiter für 100 Klienten hat, dann muss sie trotzdem irgendwie eine Lösung finden. Das heißt dann aber keiner dieser 5 darf ein Privatleben haben – zumindest nicht so lange, wie die anderen Mitarbeiter/innen ausfallen – also worauf wird dann zurückgegriffen um Mitarbeiter/innen, die es wagen, auf ihre Ruhepause zu bestehen, dazu zu bringen, dies nie wieder zu tun? Strafdienste. Man bekommt nur mehr die schwierigsten Einsätze, man kommt in alle Bezirke, nur nicht in die, für die man eigentlich zuständig ist, man wird von einem Ende bis zum anderen geschickt, damit man auf den Wegzeiten noch zusätzlichen Stress hat. Und so wird dann unsere Arbeit, die sowieso schon schwer genug ist, zur Hölle. Die Schikanen führen dazu dass Kolleg/innen aufhören und sich andere Jobs suchen. Das ist ein Teufelskreis. Ich kann jedoch meine Vorgesetzten verstehen, denn welche Wahl haben sie? Hier müssen wir gemeinsam zusammenstehen (unsere direkten Vorgesetzten haben auch nochmal Vorgesetzte und die dann wieder), denn die einzige wirkliche Lösung, die es hierfür gibt, ist einfach genug Mitarbeiter/innen zu haben. Wie bekommt man mehr Mitarbeiter/innen? Nun ein angemessener Lohn und weniger Stunden wären einmal ein Anfang, dann wären auch mehr Menschen bereit diese Arbeit zu machen. Und Schluss mit den Strafdiensten!

SO: Wie ist es mit der Zeit bei einem Klient/innen? Kommt man mit der Zeit zurecht?

P: Das ist ganz unterschiedlich, wir haben Klient/innen, da hat man viel zu wenig Zeit und andere, da wissen wir gar nicht, was wir mit der ganzen Zeit machen sollen. Es sollte meiner Meinung nach viel besser darauf geschaut werden, was tatsächlich die Bedürfnisse der Klient/innen sind, was tatsächlich gemacht werden muss, damit dies besser aufgeteilt werden kann und dies sollte dann auch regelmäßig angepasst werden. Mehr Flexibilität wäre auch gut, denn wir Menschen sind keine Maschinen, uns geht’s an einem Tag so und am anderen wieder anders, so brauchen unsere Klienten an einem Tag mehr Zeit und am anderen weniger – jedoch ist dies mit unserer Bürokratie nicht vereinbar. Es wäre im Allgemeinen viel einfacher, wenn sich die tatsächlich bei den Klient/innen arbeitenden Pflegekräfte mit den Klient/innen zusammensetzen würden und gemeinsam demokratisch entschieden werden würde, was notwendig ist und was gemacht werden soll und der Pflegebereich ausschließlich dem Wohl der Menschen (sowohl der betreuenden als auch der zu betreuenden) gewidmet wäre und nicht die Frage des Profits immer mit präsent wäre. 

SO: Am 08.11.2022 um 14:00 Uhr findet eine Kundgebung Christian-Broda-Platz bezüglich des SWÖ-Kollektivvertrags statt, wirst du auch kommen?

P: Nein, ich muss zu diesem Zeitpunkt arbeiten, wie auch die meisten meiner Kolleg/innen. Es ist interessant, dass genau zum Zeitpunkt solcher Ereignisse, selbst wenn sie zu einem Zeitpunkt stattfinden an denen wir praktisch nie arbeiten (am frühen Nachmittag, da dies eine Zeit ist in der so gut wie niemand eine Pflegekraft benötigt) die meisten Kolleg/innen zum Dienst eingeteilt werden und wenn Klient/innen dadurch erst spät Mittagessen oder sehr früh bettfertig gemacht werden – egal, Hauptsache wir sind beschäftigt. Die Einteiler/innen sind selbst bloß bezahlte Angestellte und haben nichts davon, dass wir schlechte Arbeitsbedingungen haben, im Gegenteil, sie leiden selbst darunter, daher denke ich, dass dies von oben kommt, um eine Organisierung unsererseits noch schwieriger zu machen als sie sonst schon ist.

SO: Warum ist die Organisierung so schwierig?

P: Weil wir untereinander kaum Kontakt haben, wir arbeiten immer alleine. Die Kolleg/innen aus dem eigenen Bezirk sieht man etwa einmal im Monat zu einer Besprechung mit den Vorgesetzten aber auch da sind es meist nur 75 % und die Vorgesetzen (sowohl die direkten, als auch die darüber) sind die ganze Zeit anwesend. Die Kolleg/innen aus den anderen Bezirken kennen wir gar nicht und kommen auch nicht in Kontakt mit ihnen. Dazu kommt, dass manche eingeschüchtert sind, wegen der Strafdienste. Und natürlich komplett überarbeitet, es fehlt Zeit und Kraft. 

SO: Vielen Dank für das Interview!

Das sind einige der Forderungen der sozialistischen Offensive für den Pflegebereich:

Zum einen braucht es eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Personalausgleich und zum anderen muss der gesamte Pflegebereich in öffentliches Eigentum zu überführen unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten und der zu Pflegenden. Dies würde ermöglichen, dass Pflege nicht auf Profit ausgerichtet ist, sondern am Bedarf und den Bedürfnissen der Menschen. In einer sozialistischen Gesellschaft steht der Mensch im Mittelpunkt – Pflege, welche als Menschenrecht angesehen werden würde und daher für die zu Pflegenden kostenlos wäre, Pflegende, welche humane Arbeitszeiten und angemessenen Lohn erhielten, doch es liegt an uns aufzustehen und daraus eine Realität zu machen. Gleichzeitig ist es nötig dass die Gewerkschaften Initiativen gegen Strafdienste oder ähnliche Methoden im Pflegebereich ergreifen, nicht nur sondern auch im Fall von Mobilisierungen, und auch um Spaltungen in der Belegschaft zu verhindern. Beschäftigte sollen im Fall von Kampfmaßnahmen selbst gemeinsam entscheiden können, wie Dienstpläne aussehen können, damit die Klient/innen betreut sind, und Kolleg/innen teilnehmen können.