In der nächsten Folge der neuen Reihe Einführung in den Marxismus in Socialism Today befasst sich ROBIN CLAPP mit der grundlegenden Philosophie des Marxismus, den Ideen des dialektischen Materialismus. Socialism Today ist das Magazin unserer Schwesterpartei Socialist Party in England & Wales. Weitere Texte der Reihe findet ihr hier:
Das 21. Jahrhundert hat der großen Mehrheit der Menschen auf dem Planeten Erde keinen Wohlstand und keine Sicherheit gebracht. Der vom Profitstreben angetriebene Kapitalismus hat zu einer immer größer werdenden Wohlstandskluft zwischen mega-reichen Multimilliardär/innen und dem Rest von uns geführt, die in der modernen Menschheitsgeschichte unübertroffen ist. In einem 2019 veröffentlichten Oxfam-Bericht besaßen nur 26 Personen so viel wie die ärmsten 50 % der Weltbevölkerung.
Viele Millionen wissen, dass der Kapitalismus für sie nicht funktioniert, aber die Frage, ob es eine Alternative gibt und wenn ja, wie sie aufgebaut werden kann, ist das brennende Thema. Die erbärmliche Reaktion der politischen Parteien auf das Versagen des Kapitalismus, die in der Vergangenheit behaupteten, die Arbeiter/innenklasse zu unterstützen und für den Sozialismus einzutreten, bedeutet, dass der Ausgangspunkt für alle, die heute in den Kampf ziehen – um Arbeitsplätze und Dienstleistungen zu verteidigen, für wirklich erschwingliche Wohnungen zu kämpfen, sich der Privatisierung des Gesundheitswesens, des Bildungswesens und der öffentlichen Versorgungsbetriebe zu widersetzen und den Klimawandel, Rassismus, Sexismus und alle Formen der Unterdrückung zu bekämpfen -, die Frage ist, welche Ideen wir brauchen, um den Kampf zu führen und Massenparteien der Arbeiter/innen aufzubauen, die dieses System stürzen können.
Ziel dieses Artikels ist es, die Philosophie des Marxismus – den dialektischen Materialismus – zu untersuchen und zu erklären. Er wird zeigen, dass es nicht ausreicht, sich über alle Ungerechtigkeiten des Kapitalismus zu ärgern. Eine Philosophie, die das Weltgeschehen und die Etappen des Klassenkampfes richtig interpretieren kann, ist unerlässlich, um die Wut in wirksame Aktionen zu kanalisieren.
Obwohl der dialektische Materialismus nie den Anspruch erhebt, eine Kristallkugel zu sein, die es uns erlaubt, alle Aspekte zukünftiger Prozesse in ihren vielfältigen möglichen Formen zu sehen, bietet er einen Kompass, der es Sozialist/innen erlaubt, Ereignisse in ihrer Verflechtung zu verstehen und – was am wichtigsten ist – mit einem Programm in sie einzugreifen, das unmittelbare Kämpfe mit einer Erklärung der Notwendigkeit einer vollständigen sozialistischen Transformation der Gesellschaft in Großbritannien und international verbinden kann.
Der dialektische Materialismus ist immer noch die modernste Denkmethode, die es gibt. Wie Leo Trotzki 1939 in seiner Broschüre „Marxismus in unserer Zeit“ feststellte, bleibt eine „Theorie, die den Verlauf der Entwicklung richtig einschätzt und die Zukunft besser voraussieht als andere Theorien, die fortschrittlichste Theorie unserer Zeit, mag sie auch noch so viele Jahre alt sein“.
Die Dialektik ist die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung und Entwicklung der Natur, der menschlichen Gesellschaft und des Denkens. Sie war und ist eine revolutionäre Philosophie, die den Kapitalismus in allen Bereichen in Frage stellt und dabei die Wissenschaft an die Stelle von Träumen und Vorurteilen setzt.
Der Marxismus entwickelte die Wissenschaft der Perspektiven. Durch die Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus können wir die komplexen Prozesse studieren, die sich in der kapitalistischen Gesellschaft und in den Arbeiter/innenbewegungen überall ständig entfalten und entwickeln, um in diese Entwicklungen sowohl mit einer klaren politischen Analyse als auch mit einem Programm einzugreifen, das die Arbeiter/innenklasse mit den Ideen ausstattet, die notwendig sind, um den Kampf in jeder Phase voranzutreiben.
Materialismus versus Idealismus
Die Menschen haben schon immer versucht, die Welt, in der sie leben, zu verstehen, indem sie die Natur beobachteten und versuchten, durch die Verallgemeinerung ihrer alltäglichen Erfahrungen zu lernen. Dies nennt man Philosophie oder eine persönliche philosophische Einstellung zum Leben.
Die Geschichte der Philosophie zeigt eine Zweiteilung in zwei Lager – Idealismus und Materialismus. Erstere gehen davon aus, dass das Denken (das Bewusstsein) im Vordergrund steht und dass die Handlungen der Menschen auf abstrakten Gedanken beruhen, die keinen materiellen und historischen Kontext haben.
Es waren Marx und Engels, die diese Auffassung als erste vollständig in Frage stellten, indem sie erklärten, dass ein Verständnis der Welt nicht von den Ideen ausgehen darf, die in jeder historischen Periode in den Köpfen der Menschen existieren, sondern von den realen, materiellen Bedingungen, unter denen diese Ideen entstehen. Die Natur selbst ist auf jeder Ebene historisch. Kein Teil der Natur existiert einfach; er hat eine Vorgeschichte, entsteht, verändert und entwickelt sich und hört schließlich auf zu existieren, indem er von anderen Entwicklungen abgelöst wird. Aspekte der Natur mögen für eine kürzere oder längere Zeit in einem Zustand des Gleichgewichts fixiert und stabil erscheinen, aber keiner ist dauerhaft.
Marx und Engels stützten ihren Materialismus auf die Ideen und die Praxis der großen materialistischen Philosophen des 18. Jahrhunderts. Die „Renaissance“ im 16. Jahrhundert mit ihrem Aufschwung der kulturellen und wissenschaftlichen Forschung war sowohl eine Ursache als auch eine Wirkung des frühen Wachstums des Kapitalismus. In den Worten von Friedrich Engels: „Die Wissenschaft rebellierte gegen die Kirche; die Bourgeoisie konnte nicht ohne die Wissenschaft auskommen und musste sich daher der Rebellion anschließen“. (Sozialismus – Utopie und Wissenschaft)
Astronomie, Mechanik, Physik, Anatomie und Physiologie entwickelten sich fieberhaft zu eigenständigen Studiengebieten, was zur Folge hatte, dass der uralte Glaube an einen unantastbaren Gott, der alles lenkt, ernsthaft in Frage gestellt wurde.
Galilei zum Beispiel begann, einige der physikalischen Eigenschaften des Universums zu entdecken, und stellte fest, dass sich die Planeten um die Sonne drehen. Später entdeckte Isaac Newton mit seinen Theorien der Schwerkraft und den Gesetzen der physikalischen Bewegung die Geheimnisse der Bewegung und der Mechanik. Der Philosoph Thomas Hobbes vertrat im 17. Jahrhundert die Ansicht, dass es unmöglich sei, das Denken von der denkenden Materie zu trennen.
Marx erklärte, dass diese Aufklärung den Geist der Menschen für die große französische Revolution von 1789 und das „Zeitalter der Vernunft“ „freigemacht“ habe. Aber Engels fügte entscheidend hinzu: „Die spezifische Beschränkung dieses Materialismus lag in seiner Unfähigkeit, das Universum als Prozess, als Materie in ununterbrochener Entwicklung zu begreifen“. (Ludwig Feuerbach und das Ende der klassischen deutschen Philosophie)
Er und Marx verschmolzen in einem welthistorischen Vorstoß die brillanten Entdeckungen des wissenschaftlichen Materialismus mit dem dialektischen Denken und schufen damit die revolutionärste und weitreichendste Theorie, um die Welt zu erklären und zu verändern.
Der deutsche Philosoph Georg Hegel erweckte zu Beginn des 19. Jahrhunderts das dialektische Denken von seinen griechischen Ursprüngen wieder zum Leben und warf erneut Licht auf eine seit langem schlummernde Wahrheit – dass nämlich die Ideen und ihre reale Existenz sich durch eine Reihe von Prozessen bewegen. Hegel war jedoch ein Verfechter des Idealismus, der das Denken, die Dinge und ihre Entwicklung als verwirklichte Abbilder einer „höchsten Idee“ (Gott) betrachtete, die irgendwo universell, getrennt und ewig existiert.
Marx und Engels, die von Hegels Dialektik sehr beeindruckt waren, erkannten deren Unvollständigkeit als Leitfaden zum Verständnis der Bewegungen der realen Welt und ihrer historischen Prozesse. Durch die Verbindung der Dialektik mit einer materialistischen Geschichtsauffassung gelang es ihnen, diese Unklarheit auf den Kopf zu stellen, wie Marx betonte: „Für mich ist die Idee nichts anderes als die materielle Welt, die sich im menschlichen Geist widerspiegelt und in Formen des Denkens übersetzt“. (Nachwort zur 2. deutschen Ausgabe von Das Kapital)
Die materielle Welt ist real und entwickelt sich durch ihre eigenen Naturgesetze. Das Denken ist ein Produkt der Materie, ohne die es keine Ideen geben kann. Daraus ergibt sich, dass der Marxismus sogenannte „ewige Wahrheiten“, Religionen und Geister (Idealismus) ablehnen muss.
Alle Theorien sind relativ, sie erfassen eine Seite der Wirklichkeit und existieren in einem bestimmten historischen Rahmen. Anfänglich kann man davon ausgehen, dass eine Theorie universelle Gültigkeit besitzt. An einem bestimmten Punkt werden jedoch Unzulänglichkeiten in dieser Theorie festgestellt. Diese müssen erklärt werden, und es werden dann neue Theorien entwickelt, die die Ausnahmen erklären können. Wichtig ist jedoch, dass die neuen Theorien die alten nicht nur ablösen (negieren), sondern sie auch in einer neuen qualitativen Form einbeziehen.
Auf dem Gebiet der biologischen Evolution zum Beispiel sind Marxist/innen weder biologische noch kulturelle Deterministen. Es besteht eine dialektische Wechselwirkung zwischen unseren Genen und unserer Umwelt.
Das internationale wissenschaftliche Forschungsprojekt „Humangenomprojekt“ hatte zum Ziel, alle Gene des menschlichen Genoms zu identifizieren und zu kartieren, die von einer menschlichen Generation an die nächste weitergegeben werden. Einige Biolog/innen behaupteten, dass dadurch individuelle Gene aufgedeckt werden könnten, die unsere Intelligenz und unsere Verhaltensmuster bestimmen, die von sexuellen Vorlieben über Kriminalität bis hin zu politischen Vorlieben reichen.
Es wurden auch Argumente vorgebracht, wonach die Stellung eines Menschen in der Gesellschaft weitgehend durch seine Gene vorbestimmt und unabänderlich sei. Alle Versuche, einzelne oder sogar Gruppen von Genen für „Intelligenz“ oder Verhaltensweisen wie die oben genannten zu lokalisieren, sind jedoch gescheitert. Und jeder Versuch, die soziale Stellung als genetisch determiniert zu definieren, ist als reine Folge der ideologischen Haltung der beteiligten Biologen entlarvt worden, die wiederum aus der Suche der Kapitalist/innenklasse nach einer Rechtfertigung für die Ungleichheit innerhalb ihres Systems resultiert.
Vielmehr ist es nach wie vor so, dass Umwelteinflüsse die stärksten Kräfte sind, die das Verhalten der Menschen und die Unterschiede zwischen uns prägen, und dass Gene und Umwelt nicht als getrennte Einflüsse wirken, sondern in ständiger Wechselwirkung zueinander stehen. Marx und Engels schrieben: „Nicht das Bewusstsein bestimmt das Sein, sondern das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“. (Die Deutsche Ideologie)
Was ist dialektisches Denken?
Dialektik ist die Philosophie der Bewegung. Die dialektische Analysemethode ermöglicht es uns, Naturphänomene, die Entwicklung der Gesellschaft und das menschliche Denken selbst als Entwicklungsprozesse zu untersuchen, die auf Bewegung und Widerspruch beruhen.
Welches Stadium durchläuft der Weltkapitalismus, welchen Charakter wird die nächste Rezession haben, wie mächtig ist die moderne Arbeiterklasse, wie können neue Arbeiterparteien aufgebaut werden und unter welchen Bedingungen ist mit dem Ausbruch großer betrieblicher Kämpfe zu rechnen? Marxist/innen verwenden die Dialektik, um alle widersprüchlichen Faktoren in jedem Prozess zu untersuchen, um Perspektiven zu entwickeln, die es uns dann ermöglichen, am wirksamsten in den sich entfaltenden Klassenkampf einzugreifen.
Die Wurzeln des dialektischen Denkens lassen sich bis zu den antiken griechischen Philosophen zurückverfolgen. Die klassische griechische Gesellschaft befand sich trotz ihrer erstaunlichen Fortschritte in der Mathematik, insbesondere der Geometrie, noch nicht auf der Stufe der technischen und materiellen Entwicklung, die eine Zerlegung und Untersuchung der Naturprozesse in ihre einzelnen Teile ermöglichen würde. Daher neigte man dazu, die Natur in ihrer Gesamtheit als ein zusammenhängendes Ganzes, also dialektisch, zu betrachten. Dies wurde von Heraklit zum Ausdruck gebracht, der bekanntlich erklärte: „Alles fließt, alles verändert sich“.
Selbst ein flüchtiges Studium der natürlichen Welt offenbart die einfache Wahrheit dieser Beobachtung. Wir werden geboren, wir leben und wir sterben. Nichts ist von Dauer, außer der Bewegung selbst.
Astronom/innen sind fasziniert, wenn sie mit ihren Super-Teleskopen die Geburt und den Tod ferner Sterne beobachten können, während die kleinsten subatomaren Teilchen, die sich in ständiger Bewegung befinden, nur eine flüchtige Existenz haben, von denen einige als virtuelle Teilchen bekannt sind und nur ein Milliardstel einer Sekunde leben. Neutronen verwandeln sich in Protonen und wieder zurück, wobei sie unaufhörlich ihre Identität wechseln.
Im wissenschaftlichen Labor ist die Dialektik allgegenwärtig. Jeder GCSE-Schüler weiß, dass flüssiges Wasser je nach Temperaturänderung seine Form in Eis oder Dampf ändert. Diese oberflächlich betrachtet unterschiedlichen Substanzen sind jedoch nur verschiedene Erscheinungsformen der Bewegung derselben Wassermoleküle.
Die Disziplinen der Wissenschaft lassen sich nicht auf starre Klassifizierungen beschränken. Es gibt eine ständige Vermischung und Durchdringung der Disziplinen, die die reale Verflechtung des lebendigen Universums widerspiegelt.
Auch in der Mathematik ist ein dialektischer Ansatz unerlässlich. Der „gesunde Menschenverstand“ sagt uns, dass gekrümmte und gerade Linien unterschiedlich sind. Unsere Augen scheinen dies sogar als Wahrheit zu bestätigen. Die höhere Mathematik und die Differentialrechnung zeigen jedoch, dass unter bestimmten Umständen beide mit einer einzigen mathematischen Gleichung behandelt werden können.
Während die meisten Wissenschaftler, mit Ausnahme der wenigen, die unbeirrt an kreationistischen Überzeugungen festhalten, bei ihren Forschungen ganz selbstverständlich und unbewusst dialektisch denken, stellt sich in der Politik schnell eine ganz andere Frage.
Für die Philosoph/innen und Apologet/innen des Kapitalismus wäre es sehr gefährlich, sich in diesem Bereich offen zum dialektischen Denken zu bekennen, da sie damit riskieren würden, die Vergänglichkeit ihres Systems zu offenbaren.
Auf marxistische Weise erklärt, würde die Entwicklung aller vergangenen und gegenwärtigen Formen der Klassengesellschaft zeigen, dass in bestimmten Momenten der Geschichte, in denen die Produktionsweise in einen akuten Konflikt mit der Tauschweise gerät, Wirtschaftskrisen, eine Verschärfung der Klassenkämpfe und sogar Kriege und revolutionäre Bewegungen folgen können.
Die Formen des Klassenkampfes haben sich im Laufe der verschiedenen historischen Epochen verändert, aber der grundlegende Kampf um die Aufteilung des „Mehrwerts“ (der von den Arbeiter/innen über den ihnen gezahlten Lohn hinaus geschaffene neue Wert) zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten zieht sich wie ein roter Faden von den frühen sklavenhaltenden Gesellschaften bis in die heutige Zeit.
Bei dem Versuch, die revolutionäre Theorie des dialektischen Materialismus zu untergraben, hüllen sich kapitalistische Theoretiker und Philosophen in die Zwangsjacke des metaphysischen Denkens oder der „formalen Logik“.
Diese Denkmethoden neigen dazu, die „Form“ über den „Inhalt“ zu stellen und die Form zu abstrahieren, als ob sie unveränderlich wäre. Übertragen auf die Politik wird dieser begrenzte Denkprozess oft zu einer Rechtfertigung des Status quo, der plötzliche Veränderungen ablehnt und stattdessen die Idee einer fast unmerklichen organischen Evolution unterstützt.
Als 2010 die revolutionären Aufstände der tunesischen und dann der ägyptischen Arbeiter/innen plötzlich ausbrachen (der „Arabische Frühling“), hatten die kapitalistischen Analyst/innen kaum eine Vorstellung von den unmittelbaren Ursachen und Hintergründen. Für die meisten „Expert/innen“ kamen die Aufstände „aus heiterem Himmel“, doch Marxist/innen, die mit einem dialektischen Verständnis ausgestattet waren, das es uns ermöglichte, die unter der Oberfläche kochende Wut im gesamten Nahen Osten zu erkennen, wurden von diesen rasch eskalierenden sozialen Explosionen nicht überrumpelt.
Dies ist in der Tat ein Zeitalter scharfer Wendungen und plötzlicher Veränderungen, und unsere Aufgabe besteht darin, uns auf viele weitere stürmische Ereignisse vorzubereiten, was uns zumindest teilweise die Fähigkeit sichert, in Trotzkis Worten „Voraussicht über Erstaunen“ zu besitzen.
Die formale Logik hat jedoch ihren Platz im menschlichen Denken und in der Wissenschaft. Im 18. Jahrhundert war sie unverzichtbar, wenn es darum ging, den Ärzt/innen zu erklären, wie die einzelnen Organe des menschlichen Körpers funktionieren, und auch in den Bereichen Mechanik und Ingenieurwesen. Empirische Forschung (d. h. auf der Grundlage von Beobachtungen und Erfahrungen) ist in der Wissenschaft oft die Grundlage für große Durchbrüche, aber wenn wir von der einfachen Untersuchung durch Versuch und Irrtum zu einem Verständnis der Interaktion von Prozessen durch Bewegung gelangen, sehen wir die Welt so, wie sie ist – ein zusammenhängendes und sich ständig veränderndes Ganzes.
Kein Aspekt des Lebens ist jemals „schwarz oder weiß“, und Ursache und Wirkung sind keine polaren Gegensätze, wie wir in unserem täglichen Leben vielleicht annehmen, sondern gehen ständig ineinander über, vermischen sich und verschmelzen miteinander, die ganze Zeit. Trotzkis Vergleich der formalen Logik mit der Dialektik als Unterschied zwischen einem Standfoto und einem kontinuierlichen Film war sehr treffend.
So bezeichnen wir beispielsweise ein Wahlergebnis oft als bloße Momentaufnahme, einen Augenblick, der uns zwar die Fakten dessen liefert, was an diesem Tag geschehen ist, aber wenig über die unzähligen Ursachen aussagt, die diesem Ergebnis zugrunde liegen, und noch weniger darüber, wie nachfolgende Ereignisse dieses Ergebnis entscheidend negieren oder verstärken können.
Der Versuch, Prozesse in separate, geschlossene Kästen einzuordnen, steht im Widerspruch zum Leben selbst. Selbst in einer Bibliothek, in der die Bücher zur Erleichterung des Lesers in verschiedene Kategorien eingeteilt sind, bricht die Klassifizierung ständig zusammen, da die Themen nach Querverweisen schreien. Dickens‘ Mr. Gradgrind mit seiner Liebe zu Fakten ist das fiktive Gegenteil des dialektischen Denkers. Für ihn muss alles sauber etikettiert werden, und Dinge, die nicht passen, müssen als falsch klassifiziert und als „unsinnig“ verworfen werden.
Alles, was real ist, ist rational, und mit der fortschreitenden Erweiterung unserer wissenschaftlichen Kenntnisse werden Fakten, die einst als unumstößlich galten, unzureichend und werden durch neue Erkenntnisse widerlegt. Engels selbst erzählt, wie er als junger Mann, als er von der Existenz des Schnabeltiers erfuhr, einem Säugetier, das Eier legt, sagte, dass dies nicht logisch sei, und vermutete einen Betrug durch den oder die Präparator/in.
In späteren Jahren, nachdem er und Marx mit Begeisterung Charles Darwins Theorie der Evolution durch natürliche Auslese als Erklärung für Anpassung und Artbildung angenommen hatten, kam er zu der Einsicht, dass alles Wissen in der Natur und in der Geschichte partiell ist und dass die reale Welt objektiv existiert und selten vollständig unserem begrenzten Wissen entspricht.
Die Gesetze der Dialektik
Auf der Grundlage der Gesetze der Bewegung ermöglicht uns die Dialektik, die Ereignisse und die natürliche Welt in ihren Zusammenhängen zu interpretieren. Von der Empfängnis bis zum Tod gibt es keinen Moment, in dem unsere körperliche Entwicklung, unsere Gedanken und unser geistiges Wachstum stillstehen. Wir entwickeln und verfeinern unsere Ideen anhand der Erfahrungen und verwerfen die Gedanken, die nicht mehr mit unseren Ansichten und Prioritäten übereinstimmen.
Der Marxismus ist kein Dogma, und wir lehnen das Konzept des wirtschaftlichen Determinismus ab – die Vorstellung, dass sich der Lauf der Geschichte nur durch Schwankungen im Wirtschaftskreislauf sauber entfaltet. Die Theorie des dialektischen Materialismus stellt eine verallgemeinerte Realität dar. Nur die Bewegung ist absolut – selbst die Gesetze der Dialektik sind relativ und variabel. Engels betonte dies, als er schrieb: „Wie jung ist die ganze menschliche Geschichte, und wie lächerlich wäre es, unseren gegenwärtigen Anschauungen irgendeine absolute Gültigkeit zuschreiben zu wollen“. (Anti-Dühring)
Wie aber lassen sich die Gesetze des dialektischen Materialismus konkret auf die Untersuchung der Gesellschaft anwenden? Für Marxist/innen, die im Kampf für das Ende des Kapitalismus und die Geburt des Sozialismus aktiv sind, ist dies eine Frage von größter Bedeutung. Die Mitglieder des Komitees für eine Arbeiter/inneninternationale sind keine Sesselakademiker/innen, sondern Klassenkämpfer/innen, die lernen, dialektisch zu denken und Ideen anzuwenden, um die Aktionen unseres Klassenfeindes zu verstehen und das Bewusstsein der verschiedenen Teile der Arbeiter/innenklasse zu erfassen, damit wir unsere Strategie und Taktik festlegen und ein Programm entwickeln können, das die Arbeiter/innen und die Jugend mit den notwendigen Werkzeugen ausstattet, um die sozialistische Umwandlung der Gesellschaft zu erreichen.
Welches sind die allgemeinen Gesetze des dialektischen Materialismus, abgesehen von der Grundidee, dass sich alles ständig verändert? Wenn die Dialektik das theoretische Handwerkszeug der Marxist/innen ist, was sind dann diese Werkzeuge, die wir verwenden – ob bewusst oder eher instinktiv – und wie helfen sie uns, sowohl den Kapitalismus herauszufordern als auch die sozialen Kräfte aufzubauen, die für seinen Sturz notwendig sind?
Marx und Engels haben drei weitreichende und miteinander verknüpfte Gesetze der Dialektik entwickelt, von denen jedes ständig in Kraft ist. Diese leiten uns bei der Verfeinerung unserer theoretischen und praktischen Aufgaben, die sich uns im Kampf für den Sozialismus stellen.
Es geht nicht darum, diese Regeln zu „lernen“ und dann in die Bewegung zu gehen und eine oder mehrere von einem Spickzettel auszuwählen. Vielmehr ist Dialektik eine Denkweise, die darauf beruht, Ereignisse in ihrem Zusammenhang zu sehen. Jemand, der sich gestern noch nicht für Politik interessiert hat oder sich Illusionen über seinen Platz im System gemacht hat, kann morgen auf der Suche nach uns sein, weil sich seine Ansichten geändert haben, weil er seinen Arbeitsplatz oder sein Zuhause verloren hat oder weil er eine Erfahrung gemacht hat, die aus seiner spezifischen Unterdrückung als Frau, aus Rassismus usw. resultiert.
Wenn wir in den Klassenkampf eingreifen, identifizieren Marxist/innen die wichtigsten Tendenzen in der Arbeiter/innenbewegung, auch in den Gewerkschaften. Wir setzen uns für Slogans ein, die auf der Idee des Kampfes um die Themen basieren, mit denen die Arbeiter/innen konfrontiert sind. Im Kapitalismus gibt es keinen endgültigen Sieg der Arbeiter/innenklasse, aber jedes Mal, wenn die Bosse zurückgedrängt werden, lernen die Arbeiter/innen wertvolle Lektionen über ihre potenzielle Stärke als Klasse, verstehen den Wert der Solidarität und beginnen zu erkennen, dass sie die Macht haben, die Gesellschaft zu führen. Marxist/innen sind eine starke Stimme, wenn es darum geht, diese Lektionen in den Vordergrund zu rücken.
Das Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität
So wie Wissenschaftler/innen mit dem Konzept vertraut sind, dass Dinge ihre Qualität ändern, wenn bestimmte quantitative Punkte erreicht werden (Wasser wird zu Dampf oder Eis am Siede- oder Gefrierpunkt), so gilt das gleiche Gesetz auch für gesellschaftliche Entwicklungen.
In jeder Gesellschaft, die auf antagonistischen Klassenkräften beruht, in der die Unternehmer/innen versuchen, das letzte Pfund Mehrwert (Profit) aus der Arbeiter/innenklasse herauszuholen, kann die Reibung zwischen den Klassen zu episodischen Perioden verschärfter Kämpfe führen, die zu politischen und sozialen Krisen führen. Diese können lokal, sektoral oder allgemein sein.
Während einer ganzen Periode können die industriellen und/oder politischen Kämpfe auf einem Tiefpunkt zu sein scheinen. Streiks können sich auf einem historischen Tiefstand befinden, während politische Proteste fast unsichtbar erscheinen können. Dies kann den Eindruck erwecken, dass der Kapitalismus stabil und in der Lage ist, Reformen, Lohnerhöhungen usw. durchzuführen, was sicherlich nicht der aktuellen Situation entspricht, wo der geschwächte Kapitalismus gezwungen ist, die Arbeiter/innenklasse ständig anzugreifen.
Oberflächlich betrachtet kann es scheinbare Stabilität und sogar Ruhe geben, aber unter dieser Oberfläche kann plötzlich ein quantitativer Aufbau von Frustration und Antagonismus unter den Arbeiter/innen gegenüber den Bossen ausbrechen, der qualitativ neue Bedingungen für den Kampf schafft und die Kapitalist/innen und ihre politischen Vertreter/innen völlig überrascht.
Eine Regierungspartei kann eine Wahl mit einer stattlichen parlamentarischen Mehrheit gewinnen, wie Boris Johnson oder Sebastian Kurz im Jahr 2019, aber dann tauchen aus scheinbar „heiterem Himmel“ neue Ereignisse wie die Pandemie oder Skandale auf und plötzlich wird alles, was stabil schien, instabil. Die Unfähigkeit im Umgang mit der Pandemie, die Auswirkungen der jahrelangen Privatisierung, Korruption und Abzocke – all das schuf einen gefährlichen Cocktail aus Fehlern für eine Regierung, die sich für unbesiegbar hielt.
Selbst Philosoph/innen, die an kapitalistischen Universitäten ausgebildet wurden und auf Empirie (d. h. Wissen, das sich auf unmittelbare Erfahrung beschränkt) und formale Logik ausgerichtet sind, sehen sich – meist nach einem explosiven Ereignis – gezwungen, die Existenz des Gesetzes von der Umwandlung von Quantität in Qualität anzuerkennen, und reduzieren es auf „den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“.
Als Apologet/innen des Kapitalismus sehen sie wenig voraus und lernen noch weniger, da sie immer auf eine bessere Zukunft für ihr System vorausschauen. Die bedeutendsten kapitalistischen Wirtschaftswissenschaftler, mit nur sehr wenigen Ausnahmen, haben die Weltrezession von 2007-09 nicht vorhergesagt, weil sie dem Hype der Finanziers glaubten, dass die guten Zeiten einfach weitergehen würden.
Die Socalist Party in England & Wales und ihre internationalen Mitdenker/innen im Komitee für eine Arbeiter/inneninternationale (CWI) haben im Gegenteil den Verlauf der Prozesse, die zum Crash führen würden, vorausgesehen. Darüber hinaus wissen wir heute, dass alle grundlegenden Merkmale, die 2007 in den USA den Subprime-Immobiliencrash auslösten, der wiederum die schwerste Weltrezession seit der Großen Depression von 1929 auslöste, immer noch vorhanden sind und irgendwann wieder zum Krisenpunkt heranreifen werden.
Es gibt Zeiten, in denen die Entfaltung dieses Gesetzes keinen Fortschritt bedeutet, sondern eine Niederlage für die Arbeiter/innenklasse. Bevor die Faschisten 1933 in Deutschland an die Macht kamen, durchlief der Klassenkampf eine Reihe quantitativer politischer Phasen, die jeweils zu Teilniederlagen der Arbeiter/innenklasse und zur weiteren Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie durch eine Reihe instabiler bonapartistischer Regierungen führten.
Die Enttäuschung der deutschen Kapitalist/innen über diesen Klassenstillstand, in dem weder sie noch die Arbeiter/innenklasse entscheidend vorankommen konnten, führte dazu, dass sie die Schlüssel zum deutschen Parlament, dem Reichstag, an Hitlers faschistische Bewegung übergaben, was eine qualitative Niederlage für die Arbeiter/innenbewegung in Deutschland und international bedeutete. Die Verantwortung für diese vernichtende Niederlage lag letztlich bei den Führungen der „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Parteien, denen es nicht gelang, die Einheitsfrontkräfte aufzubauen, die die Nazis hätten besiegen können.
Der Ausgang des Klassenkampfes ist nie unvermeidlich. Entscheidend ist die Führung, und deshalb bleibt der Aufbau revolutionärer Parteien der Schlüssel, um sicherzustellen, dass revolutionäre Chancen in Zukunft erfolgreich genutzt werden. Wir haben kein Rezept, um Revolutionen auf Bestellung vorzubereiten. Wir müssen die Kräfte zur Vorbereitung von Revolutionen aufbauen.
Über fünfzig Jahre lang haben wir die stalinistische Bürokratie in der ehemaligen Sowjetunion als eine relative Fessel für das Wachstum der Planwirtschaft bezeichnet, die nach der Revolution von 1917 eingeführt wurde. Damit meinten wir, dass trotz der Schrecken der Zwangsarbeitslager und der Verschwendung und Korruption der parasitären Bürokraten die Existenz selbst eines deformierten Arbeiter/innenstaates das Wachstum der Planwirtschaft ermöglichte, wenn auch weit weniger effizient als wenn die Arbeiter/innenklasse das Sagen gehabt hätte.
In den 1960er Jahren hatte die Befehlsgewalt des Kremls Mühe, mit den neuen Herausforderungen einer technisch fortgeschritteneren Wirtschaftsform fertig zu werden. Trotzkis Maxime, dass eine Planwirtschaft die Kontrolle durch die Arbeiter/innen braucht wie ein Körper den Sauerstoff, war aktueller denn je. Wir beobachteten diese Veränderungen und kamen zu dem Schluss, dass die Bürokratie von einer zunehmend sklerotischen, relativen Fessel für den weiteren Fortschritt zu einer absoluten Fessel geworden war.
Quantität hatte sich in Qualität verwandelt. Aus dem Studium aller rückläufigen Wirtschafts- und Sozialstatistiken aus der UdSSR und aus direkten Gesprächen mit russischen Arbeiter/innen begannen wir, umfassendere theoretische Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Sowjetunion konnte nicht in der Stagnation verharren.
Es wurde schnell ein Punkt erreicht, an dem entweder die Arbeiter/innenklasse den Brutkasten der Bürokratie stürzen und eine politische Revolution durchführen musste oder es zu einer sozialen Konterrevolution kommen würde, die zur Restauration des Kapitalismus führen würde (eine Möglichkeit, die Trotzki in den 30er Jahren in Betracht gezogen hatte). Der Triumph der Letzteren bedeutete eine qualitative Niederlage für die Arbeiter/innenklasse in Russland und überall sonst.
Die gegenseitige Durchdringung der Gegensätze
In ihrer Anwendung auf den Klassenkampf kann die Dialektik niemals den gleichen Grad an Präzision erreichen wie im wissenschaftlichen Laboratorium, obwohl auch dort mit unterschiedlichen Quantitäten und Qualitäten des Maßes variable und scheinbar widersprüchliche Ergebnisse erzielt werden können.
Die Rolle von Individuen, politischen Parteien und sozialen Bewegungen ist nicht wissenschaftlich vorherbestimmt. Ein/e Gewerkschaftsführer/in kann ein/ angesehener Linke/r sein, aber vor dem entschlossenen Angriff von streikbrechenden Arbeitgeber/innen kapitulieren. Gemäßigte Gewerkschaftsführungen können sich selbst überraschen und sehr viel „militanter“ werden, wenn sie mit dem Massendruck einer wütenden Mitgliedschaft konfrontiert werden, die Maßnahmen fordert.
Genau wie in der Wissenschaft, aber noch mehr, gibt es im Klassenkampf keine Absolutheit! Wir betonen zum Beispiel oft, dass Wirtschaftsaufschwung und -abschwung keine direkt gegensätzlichen Kategorien sind, wie in den kapitalistischen Wirtschaftslehrbüchern behauptet wird. Der Keim für den nächsten Abschwung ist in einer Wachstumsphase vorhanden und umgekehrt.
Es wäre auch falsch, eine automatische, direkte Verbindung zwischen einem Konjunktureinbruch und einer Zunahme der Arbeiter/innenkämpfe herzustellen; es ist nicht der Konjunktureinbruch allein, der die Arbeiter/innen dazu bringt, gegen den Kapitalismus zu rebellieren, sondern die ständige Unsicherheit und die wirtschaftlichen Reibungen, denen sie in ihrem Leben ausgesetzt sind. Eine Rezession kann dazu führen, dass sich die Arbeiter/innen durch die Bedrohung, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und durch die weit verbreitete Arbeitslosigkeit eingeschüchtert fühlen, wodurch eine Periode scheinbarer Halbpassivität entsteht. In einer Hochkonjunktur hingegen können die Arbeiter/innen nicht nur in die Offensive gehen, um vergangene wirtschaftliche Gewinne zurückzuerobern, sondern auch, um neue Siege bei Löhnen und Arbeitsbedingungen zu erringen.
Trotzki veranschaulichte die „gegenseitige Durchdringung von Gegensätzen“ in seiner Analyse der Klassenkräfte, die 1917 die russische Revolution auslösten: „Um den Sowjetstaat zu verwirklichen, bedurfte es des Zusammentreffens und der gegenseitigen Durchdringung zweier Faktoren, die zu völlig verschiedenen ökonomischen Gattungen gehören: ein Bauernkrieg – das heißt, eine Bewegung, die für den Beginn der bürgerlichen Entwicklung charakteristisch ist – und ein proletarischer Aufstand, die Bewegung, die ihren Niedergang signalisiert. Das ist die Essenz von 1917“. (Die Geschichte der Russischen Revolution)
Diese „kombinierte und ungleichmäßige Entwicklung“ veranschaulicht die komplexe Art und Weise, in der sich Gesellschaften entwickeln und verändern. Die Anwendung des Gesetzes der sich gegenseitig durchdringenden Gegensätze ist von entscheidender Bedeutung für die Klärung des Stadiums, das der Kapitalismus erreicht hat, für seine künftige Entwicklung und für unser Verständnis des „Gleichgewichts der Klassenkräfte“ zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Die Negation der Negation
Die Negation der Negation, von Engels in Anti-Dühring als „ein äußerst allgemeines und gerade deshalb äußerst weitreichendes und wichtiges Gesetz der Entwicklung der Natur, der Geschichte und des Denkens“ beschrieben, befasst sich mit der Entwicklung durch Widersprüche, die eine frühere Tatsache, Theorie oder Existenzform aufzuheben oder zu negieren scheinen, nur um später ihrerseits negiert zu werden.
Der Wirtschaftskreislauf des Kapitalismus veranschaulicht dieses Gesetz. In einer Hochkonjunktur werden große Summen an Reichtum geschaffen, um dann durch episodische Krisen der Überproduktion teilweise zerstört zu werden. Diese wiederum schaffen erneut die Voraussetzungen für einen neuen Aufschwung, der die zuvor erworbenen Produktionsmethoden aufgreift und ausbaut, bevor er erneut mit den Grenzen der Marktwirtschaft in Berührung kommt und von diesen teilweise negiert wird. Alles schafft sein Gegenteil, das dazu bestimmt ist, es zu überwinden und zu negieren.
Die ersten menschlichen Gesellschaften waren klassenlose Gesellschaften, die auf der Zusammenarbeit des Stammes beruhten. Diese wurden später durch die Entstehung von Klassengesellschaften aufgehoben, die sich auf den sich entwickelnden materiellen Reichtum stützten, der durch die Ausbeutung von Sklav/innen und später Leibeigenen erreicht wurde.
Das moderne Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Entwicklung von Nationalstaaten, die die grundlegenden Merkmale der kapitalistischen Klassengesellschaft sind und ursprünglich einen großen Fortschritt für die Produktivkräfte bedeuteten, dienen heute nur noch dazu, die Produktivkräfte zu fesseln und zu untergraben und alle früheren Errungenschaften der menschlichen Entwicklung zu bedrohen, sogar die Existenz nachhaltiger Bedingungen für das menschliche Leben auf der Erde.
Die materielle Grundlage, um das System der Bosse durch den Sozialismus zu ersetzen, ist jedoch bereits in der Klassengesellschaft vorhanden, kann aber erst dann verwirklicht werden, wenn die Arbeiter/innenklasse den Kapitalismus negiert.
Wenn wir dialektisch denken, versuchen wir nicht, die Gesetze künstlich zu trennen und dasjenige zu wählen, das für den Prozess, den wir zu verstehen versuchen, am besten geeignet ist. Die Gesetze der Umwandlung von Quantität in Qualität, der Durchdringung von Gegensätzen und der Negation der Negation bilden eine vollständige Methode, die immer in Bewegung ist, immer präsent ist und immer in Wechselwirkung zueinandersteht.
Auf dem Weg zu einer sozialistischen Welt
Die großen sozialen Revolutionen der Vergangenheit, die den Sturz der alten sklavenhaltenden Gesellschaften und später die Ablösung absolutistischer Feudalregime durch den aufkommenden Kapitalismus mit sich brachten, wurden von aufstrebenden Minderheiten durchgeführt, die den neuen wirtschaftlichen und politischen Bedürfnissen der aufstrebenden Klasse am besten entsprachen.
Weder Oliver Cromwell in England noch die französischen Jakobiner im Jahr 1789 beschlossen eines Tages bewusst, dem Feudalismus entscheidende Schläge zu versetzen, um die Entstehung des Kapitalismus zu beschleunigen. Der englische Bürgerkrieg und die große französische Revolution waren soziale Bewegungen, die durch die wirtschaftlichen und politischen Erfordernisse einer Klasse, deren historische Zeit gekommen war, zwingend notwendig wurden.
Der Kampf zum Sturz des Kapitalismus ist jedoch insofern qualitativ anders, als er den bewussten Kampf und die Führung der Mehrheit – der Arbeiter/innenklasse, die die Mittelschichten anführt – beinhalten muss. Das Programm des Marxismus – ausgedrückt durch die revolutionäre Partei – muss überall tief in der Arbeiter/innenbewegung verwurzelt sein, an der Seite der Massen marschieren, die Fehler des Kapitalismus aufdecken und das Programm entfalten, das zeigt, wie das kranke System mit einem sozialistischen Produktionsplan und einer sozialistischen Demokratie besiegt werden kann.
In Zeiten, in denen neue Ideen von den Massen aufgegriffen werden und weithin zu keimen beginnen, wandeln sich quantitative Entwicklungen qualitativ, und diese Ideen können sehr plötzlich zu einer materiellen Kraft für Veränderungen werden. Um Engels zu zitieren: Es gibt Zeiten, in denen sich ein Tag hinziehen und wie 20 Jahre erscheinen kann, aber es gibt auch andere, in denen 20 Jahre Erfahrung in einen einzigen explosiven Tag gepackt werden können.
Dies ist die Zeit, die sich weltweit vor uns auftut, eine Zeit, in der – bewaffnet mit der marxistischen Methode und einem Programm, das auf den Punkt bringt, was zu tun ist – die Ära des Sozialismus geboren werden kann.
In dem Maße, in dem im 21. Jahrhundert neue Arbeiter/innenstaaten entstehen und damit beginnen, das riesige wirtschaftliche und menschliche Potenzial von den Ketten der Klassengesellschaft zu befreien, wird sich die Entwicklung einer sozialistischen Weltordnung abzeichnen, in der mit der Zeit das Konzept der Klasse selbst negiert wird und die Menschheit zu neuen Ufern aufbricht.
Büchertipps:
Die folgenden Werke werden empfohlen, wobei die ersten vier am leichtesten zugänglich sind:
· Utopischer und wissenschaftlicher Sozialismus, von Friedrich Engels
· Aus dem Buch Zur Verteidigung des Marxismus von Leo Trotzki, Das ABC der materialistischen Dialektik (15. Dezember 1939) und Offener Brief an Genosse Burnham (7. Januar 1940)
· Über die Frage der Dialektik, von Wladimir Lenin
· Die Rolle der Arbeit beim Übergang vom Affen zum Menschen, von Friedrich Engels
· Anti-Dühring, von Friedrich Engels
· Dialektik der Natur, von Friedrich Engels
· Grundlegende Probleme des Marxismus, von Georgi Plechanow
