In den kommenden Ausgaben wird Socialism Today (Magazin der Socialist Party, CWI in England & Wales) den Inhalt von fünf neuen Broschüren zur Einführung in den Marxismus veröffentlichen, die von der Socialist Party herausgegeben werden. Sie basieren auf einer Serie, die 2003 zum ersten Mal gedruckt wurde, berücksichtigen aber den Kontext der gegenwärtigen Situation. In einigen Abschnitten wurde ein neuer Ansatz für die Art und Weise gewählt, wie die Ideen präsentiert werden. Wir beginnen mit einer Einführung von Judy Beishon in die neue Reihe. Die weiteren Texte der Reihe findet ihr unter diesen Links:

Die marxistischen Ideen, die in dieser Reihe von kurzen Broschüren enthalten sind, sind heute noch genauso wichtig wie zu der Zeit, als sie von Karl Marx und Friedrich Engels im 19. Jahrhundert zum ersten Mal brillant dargelegt wurden.

Ihre klare Erklärung des Versagens des kapitalistischen Systems und der Gründe, warum es keine menschenwürdige Zukunft für die Menschheit und den Planeten bieten kann, hat die Zeit überdauert.  In den letzten Jahrzehnten haben sich die Wirtschaftskrisen verschlimmert, die Ungleichheit hat zugenommen, es gab massive Vertreibungen und die Auswirkungen des Klimawandels haben zugenommen. In jüngster Zeit hat die Covid-19-Pandemie gezeigt, dass die kapitalistischen Regierungen nicht in der Lage sind, ausreichende Mittel für die öffentliche Gesundheit bereitzustellen, weder für Präventivmaßnahmen noch für Behandlungen.

Keine der systemischen Verwerfungen, die zur Zeit von Marx und Engels bestanden, sind gelöst worden. Im Gegenteil, sie haben sich weiter entwickelt und in vielerlei Hinsicht verschärft. Wir leben heute in einer Zeit immenser Unruhen, sich rasch überschlagender Ereignisse und großer Spannungen zwischen den herrschenden Klassen der Welt.

Die Auswirkungen der kapitalistischen Krise auf das Leben und die Lebensgrundlagen der überwältigenden Mehrheit der Menschen auf der ganzen Welt – der Arbeiter*innenklasse und der Mittelschichten – sind auch in den letzten Jahren nicht ohne Gegenwehr in Form von Massenbewegungen und Aufständen geblieben. Die politische Bewaffnung dieser Kämpfe mit marxistischem Gedankengut war noch nie so dringend wie heute – um das Rüstzeug für ein klares Verständnis der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Landschaft zu liefern sowie der Aufgaben, die für eine Veränderung der Gesellschaft notwendig sind.

Das ist es, was die Anwendung marxistischer Ideen bewirken kann: Klarheit über Ereignisse und Prozesse zu gewinnen und die Lehren aus vergangenen Arbeitskämpfen zu nutzen, um die Notwendigkeit des Aufbaus von Arbeiter*innenorganisationen zu verstehen, die von kapitalistischen Interessen unabhängig und in der Lage sind, die Arbeiter*innenklasse zur Macht zu führen.

Die Komponenten

Menschen, die mit dem Marxismus nicht vertraut sind, könnten denken, dass es sich im Wesentlichen um eine Wirtschaftstheorie handelt. Sicherlich sind Marx‘ Schriften über die Art und Weise, wie Arbeiter*innen von Kapitalist*innen ausgebeutet werden, und die Widersprüche innerhalb des gesamten Systems von entscheidender Bedeutung. Aber die Gesamtheit der marxistischen Ideen ist viel mehr als das, sie sind auch wissenschaftliche Ideen zum Verständnis der menschlichen Gesellschaft und von Phänomenen der Natur in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Drei der Broschüren in unserer Reihe befassen sich mit dem, was der russische Revolutionär Wladimir Lenin als die „drei Bestandteile des Marxismus“ bezeichnete. Diese sind: „Historischer Materialismus“ oder „materialistische Geschichtsauffassung“ – eine Analyse der menschlichen Geschichte auf der Grundlage der materiellen Bedingungen; „Dialektischer Materialismus“ – marxistische Philosophie; und „Marxistische Ökonomie“ – die Funktionsweise des Kapitalismus.

Die vierte Broschüre befasst sich mit dem kapitalistischen Staat, die fünfte mit der Frage, wie Arbeiter*innen sich organisieren und handeln müssen, um die Gesellschaft zu verändern – „Die Rolle einer revolutionären Partei“.

Um ihre Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus zu entwickeln, studierten Marx und Engels die Schriften früherer Sozialist*innen, Ökonom*innen und Philosoph*innen sowie die ihrer Zeitgenoss*innen, um auf den besten Aspekten der Schlussfolgerungen dieser Autor*innen aufzubauen und das zu verwerfen, was sie für falsch hielten. Sie analysierten die deutschen Schriften zur Philosophie, einschließlich derjenigen von Georg Hegel, und ersetzten den darin enthaltenen Idealismus durch Materialismus. Für die Ökonomie waren die Werke englischer Autor*innen eine wichtige Quelle, und für den neuesten Stand des sozialistischen Denkens betrachteten sie insbesondere die in Frankreich entwickelten Ideen.

Marx betonte jedoch, dass Wirtschaft, Geschichte und Philosophie als Wissensgebiete nicht völlig voneinander getrennt werden können. Jedes dieser Gebiete muss in den Kontext der beiden anderen eingeordnet werden. So muss beispielsweise die Ökonomie in einen historischen, politischen und sozialen Rahmen eingeordnet werden, und es muss ein dialektischer Ansatz verfolgt werden.

Sein zentrales Anliegen war es, ebenso wie das von Engels, zu verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind, und wie sie verändert werden können. Was steckt hinter den stattfindenden Veränderungen? Wie können verschiedene Gesellschaftstypen bewertet und erkannt werden? Welche Kräfte können zu Veränderungen in Gesellschaften führen – und welche Art von Veränderungen?

Das kommunistische Manifest

Im Kommunistischen Manifest, das von Marx und Engels verfasst und 1848 erstmals veröffentlicht wurde, fassten sie ihre bahnbrechenden Schlussfolgerungen in prägnanter Form zusammen – sie analysierten und fassten zusammen, was der Kapitalismus mit seinen inhärenten Widersprüchen ist, und machten deutlich, dass sich die Arbeiter*innenklasse bewegen muss, um ihn zu beseitigen. Sie durchbrachen die Verwirrung der Sozialist*innen und Reformist*innen, die die Klassen und Klassenkräfte in der Gesellschaft nicht klar erkannten, und machten deutlich, was dies für das System als Ganzes und den Kampf für den Sozialismus bedeutet.

Die marxistische Analyse aus dem 19. Jahrhundert kann heute nicht einfach Wort für Wort wiederholt werden. Vor allem müssen die unterschiedlichen Bedingungen, Sprache etc. von  damals im Vergleich mit heute berücksichtigt werden. Außerdem waren sich Marx und Engels sehr wohl bewusst, dass einige ihrer Ideen explorativ waren, und sie sahen zu Recht keine ihrer Positionen als eine „fertige“ Analyse an – dies wäre kein marxistischer Zugang gewesen.

Aber in seiner Substanz und Botschaft wurde der Marxismus in den darauf folgenden mehr als 170 Jahren nicht übertroffen. Er wurde lediglich ergänzt, um den vielen nachfolgenden Entwicklungen in den menschlichen Gesellschaften Rechnung zu tragen –  in wirtschaftlicher, politischer, sozialer und ökologischer Hinsicht. Ihre grundlegenden Ideen sind heute noch genauso zutreffend wie damals, als sie formuliert wurden, und sie sind nach wie vor ein entscheidendes Instrument für das Verständnis der gegenwärtigen Zeit und der Zukunft.

Russische Revolution

Lenin, zusammen mit Leo Trotzki eine führende Persönlichkeit in der russischen Revolution von 1917, sagte bei der Enthüllung eines Denkmals für Marx und Engels im Jahr 1918: „Das große welthistorische Verdienst von Marx und Engels liegt darin, dass sie durch wissenschaftliche Analyse die Unvermeidlichkeit des Untergangs des Kapitalismus und seines Übergangs zum Kommunismus bewiesen haben“.

Im Oktober 1917 hatten die Arbeiter*innen in Russland zum ersten Mal in der Geschichte eine Revolution durchgeführt, die den Kapitalismus beseitigte.  Industrie, Finanzinstituten usw. in öffentlichem Eigentum und eine Planwirtschaft traten an die Stelle einer marktwirtschaftlichen Wirtschaft, die auf Privateigentum beruhte. Die demokratische Arbeiter*innenkontrolle wurde jedoch in den Jahren nach der Revolution ausgehöhlt. Dies war eine Folge davon, dass der neue Arbeiter*innenstaat nach dem Scheitern der Revolutionsversuche im Westen in der Welt isoliert war. Darüber hinaus erlitt die russische Bevölkerung im Bürgerkrieg nach der Revolution verheerende Verluste an Menschenleben und Infrastruktur – und das nach den enormen Zerstörungen im Ersten Weltkrieg.

Eine erfolgreiche Beseitigung des Kapitalismus in einer entwickelten kapitalistischen Wirtschaft hätte es ermöglicht, Russland mit lebenswichtigen Hilfsgütern, Waren und Technologien zu versorgen. Ohne dies waren die Voraussetzungen für den Sozialismus – einschließlich eines Endes von Armut und Entbehrung – nicht gegeben. Stattdessen entwickelte sich ein „deformierter“ Arbeiter*innenstaat unter der Führung Stalins. Als Lenin sich dem Ende seines Lebens näherte, warnte er vor der Entwicklung der stalinistischen Bürokratie. Trotzki musste über ein Jahrzehnt im Exil verbringen, in dem er erklärte, wie und warum der Stalinismus entstand, bevor er schließlich im August 1940 von einem seiner Agenten getötet wurde.

Der Stalinismus war das Ergebnis einer besonderen Reihe von historischen Umständen und Bedingungen und negiert nicht das Urteil von Marx und Engels, dass der Kapitalismus in seiner am weitesten entwickelten Form schon zu ihrer Zeit genügend Produktionskapazitäten und Technologie geschaffen hatte, um die Grundlage für den Sozialismus zu bilden. Das gilt heute in noch höherem Maße. Weltweit reichen die industriellen und landwirtschaftlichen Kapazitäten aus, um die Bedürfnisse aller Menschen auf dem Planeten zu befriedigen, während gleichzeitig technologische Entwicklungen – gegenwärtige und zukünftige – in der Lage sein werden, die Umweltzerstörung zu stoppen. Das geht aber nur auf Grundlage von Sozialismus, wenn die Gesellschaften nicht mehr von den Profitinteressen der herrschenden kapitalistischen Klassen bestimmt werden.

Außerdem wiesen Marx und Engels und später Lenin und Trotzki auf Maßnahmen hin, die die Arbeiter*innen demokratisch einführen könnten, um die Entwicklung einer Bürokratie nach einer sozialistischen Transformation zu verhindern.

Dazu gehörten Lehren aus der Pariser Kommune von 1871. Sie hatten festgestellt, dass die Pariser Arbeiter*innen während dieses zweimonatigen Aufstands beschlossen hatten, dass alle Beamten gewählt, jederzeit wähl- und abwählbar und rechenschaftspflichtig sein sollten, und dass sie nur einen Arbeiter*innenlohn erhalten sollten.  

Arbeiter*innenorganisationen heute

Marx und Engels konnten nicht vorhersehen, dass der Kapitalismus im 21. Jahrhundert weltweit immer noch existieren würde und noch nicht durch Massenmobilisierungen der Arbeiter*innenklasse hinweggefegt sein würde. Es wäre falsch, dies als eine Überschätzung der Fähigkeit der Arbeiter*innen, sich zu organisieren und die Gesellschaft zu verändern, zu interpretieren. Vielmehr war dies zunächst auf das junge Stadium der Arbeiter*innenbewegung  bzw. bestimmte Umstände später zurückzuführen. Als sie wuchs, kam es zu wiederholtem Verrat durch der Führung der Arbeiter*innenbewegung, die in Opposition zu den revolutionären Ideen des Marxismus stand. Außerdem hat der Stalinismus in der UdSSR jahrzehntelang darauf hingearbeitet, in allen Ländern, in denen er Einfluss auf die Arbeiter*innenbewegung hatte, eine erfolgreiche Transformation zum demokratischen Sozialismus zu verhindern, da ein solches Ergebnis sein eigenes repressives, autoritäres Regime gefährdet hätte.  

Heute müssen  politische Massenparteien der Arbeiter*innenklasse neu aufgebaut werden, aber mit Führungen, die der Aufgabe gewachsen sind, die Interessen der Arbeiter*innen zu vertreten. Das bedeutet, dass sie völlig unabhängig von kapitalistischen Interessen sein müssen. Diese Parteien werden in einer Welt aufgebaut werden, in der der Kapitalismus überall seine Fäulnis offenbart, in der es ein hohes Maß an Verflechtung zwischen den Volkswirtschaften gibt, in der ein noch nie dagewesenes Ausmaß an elektronischer Kommunikation zwischen den einfachen Menschen besteht und in der die Arbeiter*innen praktisch überall Angriffen auf ihren Lebensstandard ausgesetzt sind.

Es überrascht nicht, dass die kapitalistischen Eliten auf der ganzen Welt versucht haben, Arbeiter*innen und junge Menschen davon abzuhalten, sich marxistischen Ideen zuzuwenden, indem sie den Marxismus böswillig mit Stalins monströsem Regime in Verbindung brachten und anderen, die ein ähnliches Modell hatten. Es liegt im Interesse der Kapitalist*innen, ihr System als die höchstmögliche Form der menschlichen Gesellschaft darzustellen – und sie wurden in dieser groben Täuschung bestärkt, als die stalinistischen Regime zusammenbrachen und die kapitalistischen Marktwirtschaften in diesen Ländern wiederhergestellt wurden.

Obwohl Schüler*innen und Studierende den Marxismus in ihren Kursen über Politik und Wirtschaft finden können, wird er oft mit „pädagogischem“ Material gelehrt, das ihn falsch darstellt und versucht, ihn zu entkräften. Die Bildungseinrichtungen in der kapitalistischen Gesellschaft sind natürlich Produkte des Systems, in dem sie existieren, und stehen unter dem Einfluss von dessen Interessen.

Für alle, die sich für sozialistische Ideen interessieren, kann die Lektüre der Broschüren „Einführung in den Marxismus“ der Beginn des notwendigen Gegengifts sein. Sie können ein nützlicher Ausgangspunkt für die „Wissenschaft“ des Sozialismus sein, der hinter diesen Ideen steht – einem „wissenschaftlichen Sozialismus“.

Das sind die Ideen, auf denen die Sozialistische Partei und das Committee for a Workers‘ International  (CWI) beruhen, und wir treffen eine wachsende Zahl von Menschen – vor allem junge Leute – die daran interessiert sind, mehr über diese Ideen zu erfahren.

Ungeachtet der Bedeutung des Lernens über marxistische Ideen muss der Zweck dieses Lernens darin bestehen, die Ideen in die Tat umzusetzen, wie es Marx und Engels immer befürworteten. Die Broschüren zur Einführung in den Marxismus zielen also nicht nur darauf ab, dass die Lesenden Wissen erwerben, die darin enthaltenen Ideen diskutieren und weiteres sozialistisches Material lesen. Sondern auch, um die Leser zu ermutigen, dem Committee for a Workers‘ International beizutreten, sich als Mitglieder der Organisation weiterzubilden und sich an den Aktivitäten  zu beteiligen, so dass die Ideen genutzt werden können, um die Arbeiter*innenbewegung und die Kräfte des Marxismus in ihr konkret aufzubauen.